#offengeht: Plädoyer für die offene Gesellschaft
Diese Überschrift enthält nicht nur die Aufforderung, offen zu sein - im Herzen, im Geist, für Begegnungen, für neu Dazukommende, neue Erfahrungen und Perspektiven, neue Freundinnen und Freunde. Das Motto gibt auch die Zusage, dass all das geht, dass es möglich ist, dass wir voranschreiten auf dem Weg in eine Gesellschaft, die ihre Vielfalt feiert - und in der niemand Angst haben muss vor Rassismus, Diskriminierungen, Übergriffen, Anfeindungen oder Hassrede.
Dazu werden auch wieder in zahlreichen Städten Veranstaltungen und Aktionen durchgeführt. Die Kirchen, die Religionsgemeinschaften und der Deutsche Städtetag sind seit vielen Jahren Partner der Interkulturellen Woche. In Schwerin wird die Woche in diesem Jahr eine Woche später, am 25. September, beginnen. Ein ökumenischer Gottesdienst, das Fest der Kulturen, die Eröffnung durch den interreligiösen Dialog auf dem Marktplatz der Stadt zeigen, dass das Thema hochaktuell ist und durchaus von nicht geringer Brisanz, die auf Defizite aufmerksam macht. Viel wichtiger aber als die Defizite im Umgang miteinander, die unsere offene Gesellschaft belasten, sind die Chancen der Integration.
Die Eröffnungsfeier und die offenen Foren des interreligiösen Dialogs in dieser Woche zeigen, dass Religion weder eine Randerscheinung ist, noch ein Nischendasein in der Gesellschaft führt. Ganz im Gegenteil! Immer deutlicher und offensichtlicher wird, welche Bedeutung der Sinn- und Wertehorizont der großen Weltreligionen für den Erhalt der offenen Gesellschaft hat. Deren massive Infragestellung durch Verschwörungsmythen und der Ruf nach fragwürdigen "Heilsbringern" wie dem "starken Mann" oder nach einem grundsätzlich neuen gesellschaftlichen Konzept bzw. Modell machen deutlich, dass Demokratie, Rechtsstaat und sozialer Ausgleich keine unantastbaren Besitztümer sind. Sie müssen nicht nur verteidigt, sondern in ihrem Wertegehalt argumentativ deutlich gemacht werden. Vor allem: Sie müssen im Leben erfahrbar sein! Und zwar nicht nur für eine kleine Schicht, sondern für das Gros der Gesellschaft, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass der gesellschaftliche Konsens erheblichen Schaden nimmt.
Dem widmet sich auch der Beitrag der Katholischen Propsteigemeinde St. Anna zu Schwerin zur Eröffnung der Interkulturellen Woche. Er steht unter dem Jahresmotto #offengeht und ist ein Plädoyer für die offene Gesellschaft.
#offengeht - Plädoyer für die offene Gesellschaft
Angesichts der Kriege und Ungerechtigkeiten auf dem Globus, angesichts der Lügen und Halbwahrheiten, die oft mit dem Anspruch unfehlbaren Wissens auftreten, fallen mir nur (noch) zwei Gedanken ein. "Lügen können Kriege in Bewegung setzen, Wahrheiten hingegen können ganzen Armeen aufhalten." (Bismarck) Und aus China stammt die Weisheit: "Ein aufrichtiger Gedanke kann Himmel und Erde bewegen." Jenseits allen Kalküls muss es Hoffnung geben, um menschlich bleiben zu können. Das ist so einleuchtend, dass eine Leugnung dieser Einsicht den Fortgang des Dialogs erschwert, wenn nicht beendet. Hoffnung setzt Wahrheit voraus. Sonst verkommt sie zur Täuschung oder Lüge. Aber Hoffnung und Wahrheit sind niemals Besitz. Man kann nur an beiden teilhaben, was nicht nur ihre Realität voraussetzt, sondern auch deren Geschenkcharakter anzeigt. Was Hoffnung ist, was sie begründet, worauf sie sich richtet - darum geht es im interreligiösen Dialog. Weil er nur offen geführt werden kann, setzt er die offene Gesellschaft voraus. Und wenn der Dialog offen geführt wird, bringt er gleichzeitig die offene Gesellschaft voran.
Rudolf Hubert, Katholische Propstei St. Anna Schwerin