„Für viele Patienten ist das Zahnmobil die Rettung!“
"Viele kommen mit Schmerzen hierher, manche haben eine richtig dicke Backe", erzählt Johannes Remmel. Der Caritas-Mitarbeiter gehört zum Team des Zahnmobils - als Fahrer und technische Unterstützung. Aber er kümmert sich auch um die Aufnahme der Patienten, dolmetscht für diejenigen, die Russisch sprechen, verteilt Zahnbürsten und Mundwasser. Wenn nötig, weist er als "Bodyguard" auch Patienten ab, etwa, wenn diese betrunken sind.
Das Zahnmobil versorgt schon seit sechzehn Jahren Patientinnen und Patienten, die obdach- oder wohnungslos sind und meist keine Krankenversicherung haben. Zweimal pro Woche fährt die rollende Zahnarztpraxis festgelegte Anlaufstellen an, die von dieser Zielgruppe aufgesucht werden. Heute steht das Mobil zunächst an der "Alimaus", einer Einrichtung für bedürftige Menschen nahe der Reeperbahn. Mit an Bord sind die Zahnärztin Dr. Karin Heimer und die zahnmedizinische Fachangestellte Kristina Kokian.
Der erste Patient an diesem Tag ist Omar (18). Der Besuch im Zahnmobil ist sein zweiter Anlauf, etwas gegen seine Zahnschmerzen zu unternehmen. "Er war vorher schon bei einem anderen Zahnarzt, ist aber wieder weggegangen, weil er Angst hatte", hat er der Ärztin anvertraut. Nach einer Viertelstunde hat Karin Heimer bei dem jungen Syrer zwei kariöse Zähne behandelt und ihm Füllungen verpasst. Omar strahlt über das ganze Gesicht: "Es tut nicht mehr weh. Jetzt kann ich endlich wieder essen!" Er fragt, warum die Ärztin kein Geld nimmt, und kann es kaum fassen, dass er die Behandlung gratis bekommt.
Beim nächsten Patienten, einem Mann aus Tadschikistan, kann Johannes Remmel die Dolmetscher-Rolle übernehmen. Hinterher berichtet Karin Heimer: "Der Mann hatte ein desolates Gebiss, aber er wollte nur einen einzigen Zahn gefüllt haben, denn dort hatte er Schmerzen." Hier zeige sich der Unterschied zwischen der Notfall-Versorgung im Zahnmobil und einer "normalen" Praxis: "Man müsste eigentlich jeden zweiten Zahn ziehen. Aber wir sind hier zur akuten Schmerzbehandlung, nicht zur Generalsanierung." Manche Gebisse seien "total verrottet", aber: "Es gibt auch Leute, bei denen gar nichts ist. Man sieht es eben nicht jedem an, dass er obdachlos ist." Ihr aktueller Patient ist jedenfalls froh über die schnelle Hilfe: "Khoroshaya rabota, spasibo!" freut er sich. Auf Deutsch: "Gute Arbeit, danke!"
"Die Dankbarkeit ist hier größer als in der Praxis", hat Karin Heimer immer wieder erlebt. Sie war schon dabei, als es das Zahnmobil noch gar nicht gab: "Ende der 90er-Jahre waren wir zu zweit. Die Kollegin und ich sind damals im Krankenmobil mitgefahren", erinnert sie sich. Zehn Jahre lang kümmerte sich das Duo so um die Zahngesundheit bedürftiger Menschen, eine Zeitlang hat Karin Heimer diese Aufgabe sogar allein übernommen. Die Behandlungsmöglichkeiten waren damals sehr eingeschränkt: "Ich hatte mir eine mobile Behandlungseinheit ausgeliehen, aber ich habe viele Patienten, für die das nicht ausreichte, nach Feierabend in meiner Praxis weiterbehandelt." Seit das Zahnmobil zur Verfügung steht, hat sich der Kreis der ehrenamtlich mitarbeitenden Dentisten erheblich vergrößert - aktuell sind rund 25 Ärzte und Ärztinnen dabei.
"Man lernt hier, kreativ zu sein."
In der Regel unterstützen von der Caritas angestellte Zahnmedizinische Fachkräfte die Ärzte. Heute ist das anders: Kristina Kokian ist zwar ausgebildete ZFA, hilft aber ehrenamtlich mit. Sie studiert im vierten Semester Zahnmedizin und möchte Erfahrung sammeln: "Hier kann ich mit verschiedenen Zahnärzten arbeiten und Patienten aus Ländern behandeln, in denen die Mundhygiene nicht so gut ist", erklärt sie. "Man lernt hier, kreativ zu sein, improvisieren ist nötig." Kristina Kokian gefällt besonders die positive Atmosphäre im Zahnmobil: "Die Ärzte haben alle gute Laune, man arbeitet gerne miteinander. Und die Patienten sind glücklich und dankbar."
Nach drei Behandlungen ist die Vormittags-Schicht beendet. Nachmittags geht es beim Tagestreff "CariCare" in der Innenstadt weiter - mit einem neuen Team und weiteren schmerzgeplagten Patienten.
Tanja Wieland-Lieb gehört zum Team, seit es das Zahnmobil gibt. Direkt nach ihrer Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte hat sie sich bei der Caritas beworben. Und ist geblieben. Anders als die Ärzte, die nur alle paar Wochen dabei sind, kennt Tanja Wieland-Lieb die Patienten. So kann sie auch verhindern, dass sich jemand mit Schmerzmitteln eindeckt, der am Vortag schon welche bekommen hat. "Einer muss den Überblick haben", stellt sie fest. Heute arbeitet sie mit dem Lübecker Zahnarzt Dr. Andreas Zettler zusammen. Er gehört seit acht Jahren zum Team. Seine Motivation: "Ich wollte bewusst in einem ganz anderen Setting arbeiten und Menschen mit dem helfen, was ich gelernt habe." Als gläubigen Christen leitet ihn dabei die Aussage Jesu: "Was ihr einem dieser Ärmsten getan habt, das habt ihr mir getan." Viele, mit denen er hier zu tun hat, hätten die Erfahrung gemacht, dass sie übersehen und übergangen werden. "Wenn sie sich hier als Menschen gesehen fühlen, dann sagen sie zu ihren Freunden: ‚Zahnmobil, da kannst du hingehen!‘ Für viele ist das Zahnmobil die Rettung." Andreas Zettler ist beeindruckt von den Schicksalen, die er quasi nebenbei mitbekommt. "Manchmal wünsche ich mir, dass ich mehr Zeit hätte, mit den Menschen zu schnacken." Als Arzt reizt ihn außerdem die Erfahrung, "mit Basic-Zahnmedizin entscheidend weiterhelfen zu können. Das ist eine echte Bereicherung zum normalen Praxisbetrieb."
"Ich weiß nicht, was ich ohne euch getan hätte."
Aissa Amsir ist heute sein erster Patient. Er leidet an einer schmerzhaften Infektion: "Das war total vereitert. Gestern haben sie im Zahnmobil schon alles rausgeholt und mir Antibiotika gegeben." Nun geht es ihm bereits viel besser: "Das war die erste Nacht, in der ich wieder ohne Schmerzen schlafen konnte." Andreas Zettler hat heue den restlichen Eiter abfließen lassen. "Die Tabletten soll ich weiter nehmen. Und falls es wieder schlimmer wird, kann ich nochmal kommen." Begleitet wird der 22-Jährige von seinem Freund Mischa Bahnen. Der hatte ihm zunächst Schmerzmittel besorgt. Als die nicht mehr halfen, suchte er im Internet nach einer kostenfreien Zahnbehandlung, denn Aissa Amsir, der seit drei Jahren in Hamburg lebt, hat keine Krankenversicherung. Jetzt geht er erleichtert nach Hause: "Vielen Dank für eure Hilfe! Ich weiß nicht, was ich ohne euch getan hätte."
Der nächste Notfall wartet schon: Angst vorm Zahnarzt hat Max Kaißer wochenlang davon abgehalten, sich Hilfe zu suchen. "Hier hat es mich auch Überwindung gekostet, aber der Arzt war ja nett und freundlich." Andreas Zettler diagnostiziert bei ihm eine tiefe Karies und eine Zahnnerv-Entzündung. Vom Zahnmobil hat Max Kaißer durch seine Sozialarbeiterin erfahren. Versichert ist er nicht. Immerhin ist der Berliner, der im vergangenen Sommer nach Hamburg kam, nicht mehr obdachlos: "Seit Dezember wohne ich in einer kleinen Hütte. Ich bin froh, dass ich ein Dach überm Kopf habe, in einem warmen Bett schlafen und duschen kann." Vermutlich war der 28-Jährige heute nicht zum letzten Mal im Zahnmobil: "Ich habe da vorne noch einen Zahn, der gemacht werden muss..." Angst vorm Zahnarzt muss er ja nun nicht mehr haben.