Die Kippa in meinem Bücherregal
Sie war Ausdruck der Verachtung einer gläubigen Minderheit und ‚Vorgriff‘ auf das, was die Nazis zynisch ‚Endlösung‘ nannten. Kann es nach solch einer barbarischen Zeit noch so etwas geben wie ‚Versöhnung‘? Wie sieht sie aus? Welche kleinen Gesten geben davon Zeugnis? Von einer solchen Begebenheit handelt die folgende kleine Geschichte.
Ausgerechnet am 09.November, an jenem Tag, der für jüdische Menschen für immer in Erinnerung bleiben wird als Tag des Grauens, an jenem Tag, an dem, wie Reinhold Schneider es formulierte, "die Kirchen nicht geschwisterlich neben der Synagoge standen", an diesem so denkwürdigen Tag, habe ich in diesem Jahr eine Geste erleben dürfen, die mich sprachlos, dankbar und demütig macht. Ich war bei der Gedenkveranstaltung am 09.11.2021 in unmittelbarer Nähe der neu errichteten Synagoge in Schwerin. Eine gute Freundin machte mich darauf aufmerksam, dass es doch geboten sei, eine Kopfbedeckung zu tragen, zumal ich für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde als Moderator des interreligiösen Dialogs in Schwerin kein Unbekannter sei. Ich schaute mich etwas rat- und hilflos um. Das schien der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Herr Valery Bunimov, zu bemerken. Er ging kurz weg, kam dann mit einer samtenen Kippa wieder und bot sie mir an. Diese kleine Geste hat mich sehr berührt, doch was sich dann anschloss, trieb mir die Tränen in die Augen und ich sprach noch lange am Abend mit meiner Frau darüber. Als ich nämlich die Kippa Herrn Bunimov zurückgeben wollte, gab ich einfach meinem Gefühl nach und sagte: "Lieber Herr Bunimov, am liebsten würde ich sie behalten." Darauf Herr Bunimov: "Herr Hubert, behalten sie die Kippa als Geschenk."
Solch ein Geschenk, an solch einem Tag, von einem Menschen jüdischen Glaubens an einen Christen - wohlwissend um die antisemitischen Verstrickungen auch von Christen in schreckliche Pogrome, durch all die Jahrhunderte hindurch - das hat mich tief bewegt und bewegt mich noch immer sehr! Wo die Sprache endet, helfen Gesten, hilft mitunter auch Schweigen. Diese Kippa wird für immer einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal haben.
Und mir wird überdies deutlich, wie sehr wir alle "Geschwister im Glauben" (Johannes Paul II.) sind und dass "die Sendung der Kirche in der heutigen Welt nicht nur eine Mission von erschreckendem Ausmaß und von angsteinflößender Verantwortlichkeit (ist), sondern sie ist zugleich auch eine Sendung mit einer großen Hoffnung und einer vielversprechenden Verheißung." [1]
[1] Karl Rahner im Gespräch, Band 1, München 1982, S.103 f