Was heute unerlässlich ist
Der nicht unumstrittene Theologe Peter Hahne - befragt nach dem Grund seiner Hoffnung - sagt, man müsse sich dort, wo man ist, einbringen. Nur so kann man für sich und für andere Hoffnung stiften.
So sehr ich dem zustimme, der frühere Papst Benedikt sah als Theologe noch tiefer: Er machte schon seinerzeit eine gewisse Staatskrise in Deutschland aus, die klar erkennbare Ursachen hat: Wir wissen nicht (mehr), woher wir kommen und darum auch nicht mehr so recht, wohin wir gehen (wollen).
In unserer Gesellschaft sind wir verantwortlich. Verantwortlich für unsere Mitmenschen, für die Zukunft. Niemand kann der Frage ausweichen: Wohin wollen wir gehen? Was ist unsere "Ausrüstung"? Wer der Frage davonlaufen will, hat bereits seine Antwort gegeben. Fraglich bleibt, ob das "Wegrennen" oder Wegsehen ausreicht angesichts der vielen Herausforderungen und Anfragen. Gerade weil unsere Gesellschaft fragende, suchende und engagierte Menschen braucht, sei auf die Überlegungen von Joseph Ratzinger aufmerksam gemacht:
"Das Ethos begründet sich nicht von selbst. Auch das aufgeklärte Ethos, das unsere Staaten noch zusammenhält, lebt von der Nachwirkung des Christentums, das ihm die Grundlagen seiner Vernünftigkeit und seines inneren Zusammenhangs gegeben hat. Wo der christliche Boden völlig weggezogen ist, hält nichts davon mehr zusammen."1
Mir scheint zunächst besonders für Europa der Hinweis wichtig zu sein, dass selbst das "aufgeklärte Ethos, das unsere Staaten noch zusammenhält", wesentlich auf der jüdisch-christlichen Tradition beruht. Der respektvolle Umgang mit dem geistigen Erbe ist unerlässlich in der gegenwärtigen Diskussion. Sonst verliert man jeden Maßstab und jedes Maß. Dazu bedarf es allerdings auch dessen Kenntnis.
Und dann spricht der Theologe von Sexualität, die ohne Bindung verkommt zu "leicht erhältlicher Lustdroge". Er spricht vom unsinnigen "Kampf der Generationen" und vom "Kampf der Geschlechter", vom "Auflösungsprozess" im "Verhältnis zum Leben". Schlussendlich kommt er zu einem bedenkenswerten Resümee, dass in unsere heutige Zeit direkt hineinzusprechen scheint:
"Die Beziehung des Staates auf den christlichen Grund ist unerlässlich, gerade wenn er Staat bleiben und pluralistisch sein soll."
Es gibt keinen Automatismus im Verhältnis Christentum - Demokratie. Aber es scheint im wörtlichen Sinne not-wendig zu sein, sich immer wieder bewusst zu machen - gerade in der globalisierten Welt, die in Europa durch einen Angriffskrieg Russlands in Mitleidenschaft gezogen wird, der mit einem unverhohlenen Sendungsbewusstsein begründet wird - dass staatliches Handeln aufruht auf dem jüdisch-christlichen Weltverständnis, dass die Personenwürde und das Gemeinwohl als unverrückbare "Polarsterne" begründet.
1 Joseph Ratzinger/Benedikt XVI, "Berührt vom Unsichtbaren", S. 118