Menschen mit Würde bekleiden
Die sechsköpfige Frauen-Truppe hat vor der Eröffnung wochenlang eine Unmenge von Kleidung sortiert, Regale eingeräumt und den Räumen ein frisches Gesicht gegeben - mit Herzblut, Improvisationstalent und einer großen Portion Humor.
"Alleine stark, gemeinsam unschlagbar": das ist das Motto von Milanka Hauschildt, die das Team ehrenamtlich koordiniert. Diese Aufgabe wurde ihr sozusagen auf den Leib geschneidert. Sie hatte sich bei Stefanie Niß, der hauptamtlichen Ehrenamtskoordinatorin der Caritas für Schleswig-Holstein, beworben - mit einem beeindruckenden Lebenslauf: 20 Jahre Teamleitung bei einem großen Telefonanbieter, Leiterin des Recruitings einer europaweiten Personalvermittlung. Stefanie Niß erinnert sich: "Ich habe überlegt, welche Aufgabe für eine Frau mit Führungserfahrung in Frage kommt, die gerne organisiert und strukturiert. Denn mir geht es beim Ehrenamt darum, wie die Menschen ihre Ressourcen und Talente einbringen können." So kam sie auf die Idee, die Kleiderkammer neu zu eröffnen - unter der Regie von Milanka Hauschildt. Und die krempelte gleich die Ärmel auf: Gemeinsam mit den anderen Ehrenamtlichen räumte sie zunächst auf. Nicht mehr brauchbare Kleidung wurde entsorgt, alles andere sortiert und eingeräumt. "Uns fehlten Regale, also habe ich eine Anzeige gepostet. Daraufhin haben Nachbarn uns welche vorbeigebracht." Auch wenn sie die "Brücke" zu den Hauptamtlichen der Caritas und den anderen Ehrenamtlichen bildet, versteht sie sich nicht als Chefin. "Ich frage die anderen immer: Wie möchtet ihr das haben? Jede steuert ihre Ideen und Wünsche bei."
"Bedürftig sind wir doch alle!"
"Sie hat den weitesten Arbeitsweg von allen", sagt Stefanie Niß über Birgit Wermann - mit einem Augenzwinkern, denn die Rentnerin wohnt direkt gegenüber der Kleiderkammer. Die Caritas-Nachbarin bringt berufliche Kompetenzen als Verwaltungsfachkraft und Verkäuferin mit. In der Kleiderkammer fühlt sich die Rentnerin sehr wohl: "Wir haben alle viel Lebenserfahrung, und jede hat ihr Päckchen zu tragen." Mit ihren Kunden sieht sich Birgit Wermann auf Augenhöhe, denn: "Bedürftig sind wir doch alle."
Apropos weiter Arbeitsweg: Naimah Almihmadi kommt aus Saudi-Arabien kann immer nur für drei Monate mit einem Touristenvisum nach Deutschland einreisen. Während ihrer Aufenthalte lernt die junge Frau Deutsch am Goethe-Institut - und hilft in der Kleiderkammer mit. Die Muslima hatte zuvor bereits bei der Katholischen Gemeinde in Kiel angedockt, wo sie mit ihrem katholischen Freund den Gottesdienst besucht. "In der Messe verstehe ich nur ein paar Worte, aber es berührt mich. Die Gemeinschaft gibt mir Frieden", erzählt sie. "Ich bin auf der Suche nach Antworten." Die Arbeit in der Kleiderkammer ist für Naimah Almihmadi eine neue Erfahrung, denn in Saudi-Arabien gibt es nichts Vergleichbares.
Auch ihre Teamkollegin Fareshteh Mohamadi staunt über das Angebot der Kleiderkammer. Sie stammt aus Afghanistan. Wenn dort jemand etwas braucht, helfen Familienmitglieder oder Bekannte. Die deutsche "Lösung" gefällt ihr besser, denn "man kann kommen, wenn man etwas braucht". Für ihr Ehrenamt nutzt sie die Zeit, wenn ihre Tochter in der Schule ist und der Sohn im Kindergarten. Die Arbeit mit Kleidung liegt ihr, vor allem aber mag sie das Team: "Wir haben viel Spaß, und ich lerne dabei noch besser Deutsch." Für die Zukunft wünscht sich Fareshteh Mohamadi, dass sie eine Ausbildung machen und in einem Kindergarten arbeiten kann.
"Jedes Teil hat seinen Charme"
Ihre Mitstreiterin Heike Teufel blickt auf ein unglaublich vielseitiges Berufsleben zurück: Die gelernte Verkäuferin hat die Filiale einer Mode-Kette geleitet, aber auch Glas- und Kohlefasern für den U-Boot-Bau zugeschnitten. Als diese Arbeit automatisiert wurde, sattelte sie nochmals komplett um und arbeitete in einer Kita-Küche: "Ich habe dort mit den Kindern Gemüse geschnippelt und Kekse gebacken." Wie geht eine so vielseitig erfahrene Fachkraft ihr Ehrenamt an? "Morgens kommt erstmal der Rundumblick: Was ist zu tun? Was kann man verändern?" Ihre Erfahrung mit Mode kommt ihr besonders zugute, wenn sie das Sortiment und neu gespendete Waren sichtet. "Jedes Teil hat seinen Charme!" Aufgefallen ist ihr, dass viele hochwertige Kleidungsstücke dabei sind, auch von bekannten Marken.
Im Umgang mit der Kundschaft der Kleiderkammer stehen die Würde und die Bedürfnisse der Einzelnen im Mittelpunkt. Die Ausgabe der Kleidung erfolgt gratis. Wer mag, darf freiwillig etwas bezahlen. Die Gruppe hat entschieden, keinen Nachweis der Bedürftigkeit zu verlangen: "Wir fragen nicht nach den Gründen. Jeder darf einmal im Monat zu uns kommen und bis zu fünf Teile mitnehmen", erklärt Milanka Hauschildt. Aber auch diese Regel handhabt das Team nicht dogmatisch, sondern nach dem individuellen Bedarf. So erhält ein obdachloser Mann an diesem Tag einen Koffer voller Kleidung - weil er sie braucht.
Neben den Kunden finden auch Spendenwillige den Weg in die Kleiderkammer. So wie Cordula Müller und Uwe Schmuck, die prallgefüllte Kisten und Tüten mitgebracht haben. Die beiden wollen sich zuhause "etwas Luft verschaffen" und sind froh, dass ihre Spende eine sinnvolle Verwendung findet: "Wegwerfen wäre bitter. Man sieht ja immer, wie neben den Kleidercontainern alles im Dreck liegt." Unter dem Mitgebrachten kommt auch ein buntes Sortiment an Mode-Schmuck zum Vorschein: "Der ist noch von meiner Mutter, ich habe ihn lange verwahrt", erklärt die Spenderin. Die Kleiderkammer-Frauen freuen sich darüber besonders, denn nach ihrer Erfahrung ist es ein menschliches Grundbedürfnis, sich hübsch zu machen - gerade dann, wenn wenig Geld zur Verfügung steht.