Aufregend und bereichernd
Ute Gerber hat sich dafür entschieden, Menschen in deren Zuhause zu begleiten. "Ich kümmere mich immer nur um eine Person, aber das mache ich intensiv. Dabei entsteht eine feste Bindung." Sie ist seit 2011 dabei, und ihre längste Begleitung lief über vier Jahre. Mit einer Frau, die sie in der Anfangszeit betreute, verband Ute Gerber eine fast freundschaftliche Beziehung. Geburtstage und Weihnachten feierten sie zusammen. "Ich habe sie jeden Freitag besucht. Als sie nicht mehr da war, fühlte es sich ganz komisch an, freitags frei zu haben. Ich denke heute noch an sie." Auch bei anderen Begleiteten hat die Rentnerin den Verlust als "emotional ganz schön heftig" erlebt. "Es belastet mich nicht so, dass ich daran zerbreche, aber ich nehme mir dann erstmal eine Auszeit von sechs bis acht Wochen." Zur Erinnerung an die Verstorbenen bastelt sie Schiffchen mit Namen und Sterbedatum, die sie sorgfältig aufbewahrt. Sterbende zu begleiten, hat ihr Leben verändert: "Man sieht, was ist wirklich wichtig ist. Und wenn man etwas vorhat, darf man nicht sagen: ‚Wenn ich mal in Rente bin, dann…‘ Das Leben geht so schnell zu Ende, also mach es jetzt!" Ihr Dienst schenkt Ute Gerber eine "innere Zufriedenheit", sie empfindet ihn als bereichernd. So erfuhr sie von einer alten Dame viel darüber, wie Schwerin nach dem Krieg aussah. Und einer ihrer Klienten "war so klug und wusste so viel, dass ich immer gesagt habe: Ich habe jetzt wieder Privatunterricht!" An ihre Grenzen stieß Ute Gerber nur einmal: "Ich habe zusätzlich auch die Ausbildung zur Sterbebegleitung für Kinder gemacht. Aber als ich das erste Mal ein Kind betreuen sollte, musste ich aufgeben. Das konnte ich nicht."
Für andere eine Stütze sein
Anne Thauer kam zum Hospizdienst, als ihre Kinder geboren wurden. "Damals habe ich mich mit dem Leben beschäftigt. Und dazu gehört auch das Sterben." Durch ihre berufliche Tätigkeit bei der Caritas war ihr der Hospizdienst schon geläufig. 2013 absolvierte die die Ausbildung, musste dann aber feststellen, dass die zeitliche Belastung mit drei Kindern und der Arbeit zu hoch war, um sich ehrenamtlich zu engagieren. "Dafür braucht es eine stabile Lebenssituation." Vor ein paar Jahren erlebte sie eine schwere persönliche Krise: Eine Krebserkrankung stellte ihr Leben auf den Kopf. "Da habe ich gemerkt: Es waren die Menschen, die mich durch diese schwere Zeit durchgetragen haben." Nachdem sie die Krankheit überstanden hatte, kam ihr der Gedanke: "Vielleicht kann ich jetzt auch für andere Menschen eine Stütze sein." 2023 stieg sie wieder ehrenamtlich beim Hospizdienst ein. Ihre Kinder sind inzwischen alt genug, um auch mal allein zu bleiben. "Das hat mir Freiräume verschafft. Ich habe nicht mehr den Zeitdruck, auf die Uhr zu schauen: wann muss ich die Kinder von der Kita abholen?" Außerdem arbeitet Anne Thauer nur noch halbtags. Aktuell begleitet sie zwei alte Damen, die in einem Stift leben. "Die sehen noch gar nicht so nach Sterben aus", meint sie mit einem Augenzwinkern. Die Seniorinnen erzählen ihr gerne "unheimlich viel". Deswegen ist die Sterbebegleitung in diesem Fall eher ein Krankenbesuchsdienst. Sie hat aber auch schon Erfahrungen damit gemacht, dass von ihr begleitete Menschen gestorben sind. Sie fühlte dann keine Trauer, sondern freute sich für den Betreffenden, denn "der hat es geschafft". Um Belastungen besser verarbeiten zu können, treffen sich die Sterbebegleiter*innen einmal im Monat in der Gruppe. Sie tauschen Erfahrungen aus und zünden für die Verstorbenen Kerzen an. Oft hilft auch Humor, sowohl im Umgang mit den Begleiteten als auch im Team. Anne Thauer: "Ich kenne keinen Dienst, wo so viel gelacht wird wie hier!"
Das schönste Weihnachtsgeschenk
Pastor Lutz Jastram begleitet sterbende Menschen im Hospiz. Seinen Dienst erlebt er als ein "abenteuerliches, aufregendes Unternehmen" mit der "ganzen Bandbreite an Emotionen". Mit den Gästen spricht er kaum über das Sterben und den Tod, sondern über das Leben und ihre Erinnerungen. Besuch von einem Pastor zu bekommen, erschrecke manche Gäste: "Die denken sich: Ist es schon so weit…?" Andere fragten ganz bewusst nach einer seelsorgerischen Begleitung. Sein Gesangbuch holt er nur heraus, wenn es ihm angemessen erscheint. Singen könne auch eine große Hilfe sein, wenn das Gespräch stocke. Zwar gebe es Gäste, die "reden wie ein Wasserfall", aber es komme auch vor, dass Leute nicht sprechen können oder mögen. Bei ihnen helfe es, schweigend am Bett zu sitzen und zu zeigen: "Sie sind nicht allein." Sehr oft verabschiedet er sich mit einem Segen. "Da erlebe ich immer Zustimmung und Dankbarkeit." Manchmal fragt sich Lutz Jastram, wenn er vom Hospiz wieder weggeht: "Habe ich die richtigen Worte gefunden? War das eine Hilfe?" Er hat auch schon erlebt, dass ihn jemand unter Tränen umarmte und sagte: "Das war so schön!" Wenn er nach Hause kommt, betet er für die Gäste, die er besucht hat: "Ich habe einen Zettel mit den Namen, den ich auf meinen Hausalter lege." Etwas ganz Besonderes war für ihn die Christvesper. "Das ist natürlich heikel, denn alle Gäste wissen: Das ist unser letztes Weihnachten." Hier die richtigen Worte zu finden, ohne etwas schön zu reden, sei nicht einfach. Für seine Predigt brachte Jastram einen Holzengel mit: "Das war der Weihnachtsengel, der sagt: Fürchtet euch nicht!" Eine Familie mit kleinen Kindern, die einen Angehörigen besuchte, machte Musik. "Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk, diese Begegnung im Hospiz."
Nach Lutz Jastrams Erfahrung ist es sehr unterschiedlich, wie die Menschen ihre Sterbephase erleben: "Manche sind maulig oder leiden darunter, dass niemand aus der Familie zu Besuch kommt. Andere sterben zufrieden, dankbar und lebenssatt." So wie ein Obdachloser, der lächelnd zu ihm sagte: "Ich habe es noch nie in meinem Leben so gutgehabt wie hier im Hospiz!" Und eine Frau, die er besuchte, konnte kaum noch sprechen, aber sie bestellte sich im Internet schöne Kleider und trug passenden Nagellack dazu. "Das bewundere ich, wenn Leute in der letzten Phase ihr Leben noch so gestalten. Wenn ich selbst ans Sterben komme, werde ich hoffentlich auch so lebendig sein können", so der Pastor. Wie eng Leben und Tod beieinanderliegen, zeigt ein Erlebnis, das Jastram bewegt schildert: "Ein junger Mann im Hospiz heiratete noch kurz vor seinem Tod. Seine Freundin hatte gerade das gemeinsame Kind geboren." Bei der Aussegnung lag der Säugling dann auf der Brust des aufgebahrten Vaters.