„Was Caritas macht, das können Andere doch auch …?“ - eine hilfreiche Provokation
Wichtiger ist, dass dieser provokante Satz eine Stimmung einfängt, die es -zumindest auch - in unseren Gemeinden gibt und die in etwa so sich anhört: "Wenn das so ist, dann braucht‘ s doch nicht mehr so viele kirchliche Zuschüsse an die Caritas."
I.
Diesem Argument sollten wir als Caritas nicht begegnen mit dem (vordergründigen) Argument, dass sich ‚alles nur um‘ s Geld dreht‘. Genau das ist oberflächlich und falsch! Denn ohne Geld geht es nicht und irgendein ‚Gerede‘ darf nicht dafür herhalten, wirtschaftliche Prozesse, wo sie nicht gut laufen, ‚schön zu reden‘. Pastorale Inhalte sind kein Ausfallbürge für wirtschaftliche Schwächen und Fehler! Und auch das sei vorweg klar gesagt, um hier keinerlei Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht auch bei der Caritas ums Geld. Denn ohne eine solide wirtschaftliche Grundlage können wir als Verband den pastoralen Sendungsauftrag, den Erzbischof Dr. Stefan Heße dem Caritasverband gegeben hat, nicht erfüllen. Die Meinung, dass Caritas in ihrem ‚Kerngeschäft‘ z. T. noch wirtschaftlicher agieren sollte als bisher, scheint mir unstrittig zu sein. Ebenso unstrittig ist es, dass, die Fusion des Verbandes nicht abgeschlossen ist und es deshalb nicht verwundern kann, wenn weitergearbeitet wird an der strukturellen und inhaltlichen Verbesserung des Verbandes.
Auf der anderen Seite des Spektrums stellt man mitunter schon die inhaltliche Grundsatzfrage nicht mehr nur ‚klammheimlich‘, sondern ganz offen. Das kann sich dann auch schon einmal so anhören: Kirche ist Kirche, o. k. Aber was bitte hat das mit professioneller Pflege oder Beratung und Betreuung zu tun? Zumal hier in der Regel zumeist auch staatliche Gelder fließen auf Grund von Rechtsansprüchen oder Verpflichtungen im Rahmen der Daseinsvorsorge. Und: Verstehen sich die Mitarbeitenden der Caritas überhaupt als Mitarbeiter in einem ‚kirchlichen Dienst?‘ Oder ist die Arbeit im Caritasverband letztlich ein ‚Job‘ wie jeder andere auch?
Wie dem auch sei, es scheint mir für die Caritaspastoral unabdingbar zu sein, an diese Frage grundsätzlicher, d. h. vor allem auch theologisch heran zu gehen. Sowohl die Fragen im Zusammenhang mit dem synodalen Weg der Kirche als auch die Neujustierung der Grundordnung des Kirchlichen Dienstes machen es zu einer Kernaufgabe, insbesondere bei den Führungskräften, das kirchlich-caritative Profil des Verbandes zu schärfen. Was das im Einzelnen bedeutet bzw. heißen kann, darum soll es im Folgenden gehen.
II.
Zunächst mag ein Blick in die Geschichte der Caritas den Fokus auf die eigentliche Fragestellung schärfen.
Als die Caritas Mecklenburg im Jahr 1996 ihr 50 - jähriges Jubiläum feierte, wurde in der Festschrift "50 Jahre Caritas Mecklenburg" zum Schluss die Frage gestellt: "Wohin gehen wir als Caritas Mecklenburg?" Dabei wurden einige Wegmarken für die Zukunft aufgestellt[1]:
- Caritas muss sich fragen, wo die elementaren Nöte der Menschen in unserer Zeit sind.
- Kirchliches Leben ist nur glaubhaft und wirkt auf andere anziehend, wenn es durch tätige Nächstenliebe deutlich wird.
- Soziale Arbeit darf nicht ausschließlich Unternehmensarbeit werden.
- Caritas muss sich gesellschaftskritisch einbringen auf Grundlage der Prinzipien der katholischen Soziallehre: Personenwürde, Gemeinwohl, Subsidiarität und Solidarität.
Heute ist dieses Jubiläum bald 30 Jahre her. Und eine Entwicklung war 1996 in struktureller Hinsicht so noch gar nicht absehbar, nämlich, dass es im Jahr 2023 die Caritas Mecklenburg nicht mehr gibt. Sie fusionierte mit den beiden Caritas- Verbänden von Schleswig - Holstein und Hamburg zum Caritas - Verband für das Erzbistum Hamburg e. V. am 21. April 2018. Diese Veränderung hatte eindeutig (auch) wirtschaftliche Ursachen und Gründe: Das Controlling sollte verbessert werden, man versprach sich von einem größeren, einheitlichen Verband für das Erzbistum Hamburg mehr Synergien, mehr Innovation und auch größere Effizienz und Effektivität in den einzelnen Diensten und Einrichtungen, auch durch Straffung wirtschaftlicher und verwaltungstechnischer Vorgänge.
Es ist unstrittig, das klang weiter oben schon an, dass wir uns nach wie vor in diesem Konsolidierungsprozess befinden und dass hier - sowohl inhaltlich als auch strukturell - noch erhebliche Aufgaben vor uns liegen.
Ein anderer Aspekt ist die Überlegung, wie diese Entwicklung der Caritas sich auswirkt auf ihr Selbstverständnis als kirchlicher Grundvollzug. In dem einen Caritasverband für das Erzbistum Hamburg sollen die Dienste und die Regionen vor Ort gestärkt werden. Zugleich sollen sie sich als Teil eines Großen und Ganzen wissen und erleben. Paragraf 2 der Verbandssatzung regelt u.a. in Ziffer 11 die Aufgaben des Verbandes, die in engem Zusammenhang stehen mit den Pfarreien und Gemeinden unseres Erzbistums. Es heißt dort:
Der Caritasverband
"fördert die Entwicklung und Reflexion der caritativen Praxis in Gremien und Gemeinden sowie im Sozial-und Pastoralraum und sorgt für eine Vernetzung der katholischen Pfarreien mit der verbandlichen Caritas."
In dieser Vorgabe aus der Caritas-Satzung kommt exakt das zum Ausdruck, was Erzbischof Dr. Stefan Heße sowohl im Pastoralen Orientierungsrahmen unseres Erzbistums als auch in den beiden Hirtenworten zum Fest des Heiligen Ansgar in den Jahren 2022 und 2023, auf die ich mich nachfolgend beziehe, in Hinblick auf die künftige ‚Gestalt‘ der Kirche im Erzbistum Hamburg formulierte:
"Ich begreife unsere Kirche als dienende Gemeinschaft…Eine karitative Haltung ist für mich wesentlich und zukunftsweisend. In der Pastoral unseres Erzbistums und unserer Pfarreien muss Caritas an Bedeutung gewinnen." (2022)[2]
Damit ist zunächst die Frage, in welchem Verhältnis Kirche und Caritas zueinanderstehen, geklärt. Wenn Kirche als "dienende Gemeinschaft" verstanden wird, wird man nicht mehr von Kirche u n d Caritas reden können. Um es mit eigenen Worten zu sagen: Eine Kirche ohne Caritas gibt es nicht.
Andererseits: Wie ist das Selbstverständnis der Caritas? Erleben sich die caritativen Dienste wirklich als "Orte kirchlichen Lebens"? Die Neuausrichtung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes, die als eine Kernaufgabe von Führungskräften die Schärfung des kirchlich-caritativen Profils formuliert, lässt ahnen, dass auch hier inhaltlich weitere Aufgaben auf die Caritas zukommen.
III
Erzbischof Dr. Heße ist in seiner ‚Diagnose‘ zur Situation der Kirche eindeutig, wenn er schreibt:
"Längst ist die Kirche kein großer und stolzer Luxusdampfer mehr. Im Gegenteil, das Schiff der Kirche hat viele Lecks und kräftig Schlagseite…" (2023)
Die "Lecks" und auch die "Schlagseite" der Kirche hat unser Erzbischof mehrfach konkret benannt, unlängst auch in der Predigt anlässlich des Heimgangs von Weihbischof em. Norbert Werbs. Es geht strukturell vor allem um folgende Bereiche:
- Die Stellung der Frau in der Kirche
- Die Partizipation der Laien
- Der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.
- Die unausgeglichene Machtbalance im Raum Kirche
Es ist kein bloßer Augenschein, wenn konstatiert wird, dass es auch im kirchlich- verfassten Bereich erheblichen Bedarf an Optimierung gibt. Wie sollte es auch anders sein, bei der "Kirche in der Welt von heute"[3], die sich weder wegducken noch wesentliche Glaubensinhalte aufgeben kann. Man wird auch nicht leugnen können, was der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar bereits von über 30 Jahren so beschrieb:
"Man kann nicht leugnen, dass es heute schwieriger ist, objektiv Christ zu sein als in früheren Zeiten. Es gibt kein Bergendes mehr: weder kann man sich, der Kirche misstrauend, in der progressiven Gesellschaft bergen, noch sich traditionalistisch in die Kirche einkuscheln, um sich vor den Forderungen der Gesellschaft zu verbergen." [4]
Die Art der Auseinandersetzungen um den synodalen Weg der Kirche können einen kleinen Eindruck von der Größe der Aufgabe vermitteln. Dabei muss man allerdings behutsam vorgehen, um nicht "das Kind mit dem Bade auszuschütten". Bei aller Genialität von Eugen Drewermann wird man klar sagen müssen: So, wie er es an manchen Stellen pauschal, undifferenziert und abwertend beschreibt, so ist es gerade nicht hilfreich! So geht es einfach nicht!
"Die römische Kirche selbst ist falsch. Sie hat nicht nur falsch gehandelt, sie ist in der ganzen Anlage verkehrt. Wir können rekapitulieren: Sie hat aus dem, was JESUS für das Leben wollte, eine Lehre und eine Doktrin gemacht; sie hat aus dem, was der Person gelten sollte, ein institutionalisiertes Beamtentum gemacht; sie hat den Glauben deformiert zu einem Sammelsurium von Dogmen, die um des Seelenheiles willen nachzusprechen sind; sie hat die Heilsvermittlung gebunden an eine Hierarchie von wissenden Beamten, die im Amt nicht irren können; sie hat das Heil identisch gesetzt mit einer Wundermagie, die in Sakramente eingebunden wird. Nichts von allem stimmt mehr: Sie hat an die Stelle der Person JESUS CHRISTI sich selbst gesetzt."[5]
Mit einer solchen Position ist ein Diskurs nicht mehr möglich! Und dennoch bedarf es - gerade auch hier - der theologischen Aussprache. Hilfreich ist hier vor allem die öffnende, rettende, nicht ausschließende und nicht-verurteilende ‚Geste‘ der Theologie Karl Rahners. Er schreibt zu den vielen, auch grundsätzlichen Anfragen an die Kirche:
"Kirche…Sie wiederholt (wie sollte es auch anders sein?) nochmals in sich selbst die Welt mit ihrer Schuld, mit ihren Engen und Torheiten, mit der unvermeidlichen Problematik alles Institutionellen…Wir müssten eigentlich aus der Welt auswandern, wenn wir aus der Kirche auszögen…Wir würden dadurch aber auch das noch verlieren, was diese Kirche eben doch immer auszeichnet. Sie ist, indem sie Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen bekennt und bezeugt, immer auch die Zeugin der ewigen Hoffnung. Es ist aber besser zu hoffen, grenzenlos und unbedingt zu hoffen, gegen die eigene Hoffnungslosigkeit zu hoffen, als zu verzweifeln. Es hat doch noch niemand im Ernst zu behaupten gewagt, dass man absolut gegen Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, und von ihm her künftig gegen seine Kirche absolut sich entscheiden müsse, um so unbegrenzt und unbedingt hoffen zu können. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass man innerhalb der Kirche diese Hoffnung des unendlichen Lebens haben könne. Es mag manchmal scheinen, dass man in der Kirche nicht selten im Protest gegen ihre Erscheinung sich auf ihr Wesen berufen müsse, gerade um so auch ihr eigenes Erscheinungsbild zu verbessern. Warum sollte so etwas nicht auch zur Aufgabe eines Christen gehören? Aber auch solches wie vieles andere ist sekundär gegenüber der einen Aufgabe, die allen in der Kirche gemeinsam ist: die Erwartung des ewigen Lebens. Jetzt scheint uns unser irdisches Leben bei aller Kürze, die wir auch erfahren, sehr lang und erfüllt von einer schier unendlichen Fülle von Aufgaben, Möglichkeiten, Untergängen und Triumphen, die wir die Weltgeschichte und unser eigenes Leben nennen, und diese unabsehbare Fülle der Möglichkeiten und Aufgaben muss ernst genommen werden, weil darin und nur so die Ewigkeit wird. Aber im allerletzten ist diese ganze Weltgeschichte und die eigene Geschichte nur der unsagbar kurze, blitzhafte Augenblick, der zwischen dem leeren Nichts und Gott liegt, in dem es Gott gelingt, die andere Freiheit zu setzen und ihr sich selber mitzuteilen.[6]
Wer die Kirche liebt mit all ihren ‚Ecken und Kanten‘, weil er gar nicht verzichten kann auf das, was sie vermittelt, kommt an dieser Stellungnahme Karl Rahners gar nicht vorbei! Zugegeben, dies ist ein typischer ‚Rahner-Text‘. Ihn muss man Wort für Wort durchbuchstabieren, Satz für Satz lesen und meditierend bedenken. Aber es lohnt sich, denn hier ist kein Wort zu viel und jedes steht am richtigen Platz. Und man spürt Rahners Statement die Liebe zur Kirche an.
Es scheint mir eine dringliche Aufgabe der Caritaspastoral und Kernaufgabe aller Führungskräfte in der Caritas zu sein, diese Position in den Diskurs um die Kirchlichkeit der Caritas und die caritative Haltung und Dimension der verfassten Kirche, der auf den verschiedensten Ebenen, in den verschiedenen Gremien unseres Erzbistums geführt, wird, mit Nachdruck einzubringen. Damit entspricht die Caritas auch der bischöflichen ‚Vorgabe‘, denn unser Erzbischof lädt alle Christen im Erzbistum Hamburg ein,
"sich zu fragen, wie inneres Leben wachsen kann."
Erzbischof Dr. Heße verweist auf "die Verwurzelung in der Hoffnung, die aus dem inneren Leben wächst" und verweist auf vielfältige Angebote "von Exerzitien bis hin zu Bibelworkshops oder Vortragsreihen." Der Erzbischof ermutigt vor allem zur Eigeninitiative:
"Wenn es in ihrer Nähe kein Angebot gibt, seien Sie mutig und machen den ersten Schritt, indem Sie z.B. eine Gebetszeit in der Pfarrkirche anbieten, einen Lesekreis zu theologischer oder geistlicher Literatur ins Leben rufen oder woanders aufsuchen. Es wäre ein großes Hoffnungszeichen, wenn wir…die Stärke unserer Hoffnung … zur Entfaltung bringen, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, sie ins Wort zu bringen, sie auszudrücken." (2023)
IV.
Es bleibt die Frage nach dem Bild von Kirche. Um mit den Worten von Erzbischof Dr. Heße zu sprechen, der den großen ‚Tanker‘ Kirche längst abgelöst sieht durch viele kleine Schiffe, die ‚Barkassen‘, die ganz eigene Aufgaben haben - allerdings immer im Blick auf den ‚Steuermann‘ Jesus von Nazareth:
"In diesem Bild der kleinen Schiffe deutet sich für mich etwas Neues an, eine neue Gestalt von Kirche…Wenn unsere Kirche immer mehr den Barkassen ähnelt, so wirkt dies nur auf den ersten Blick wie ein Abstieg. Diese Boote sind aber viel näher an dem kleinen Boot dran, in dem Jesus mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth gesessen hat. Kleine Boote sind…wendiger und schneller zu manövrieren. Kleine Boote bedeuten, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen und sich zuständig fühlen…Kleine Boote bedeuten auch eine größere Nähe im Miteinander, wenn auch im kleineren Kreis." (2023)
Unser Erzbischof knüpft mit seinen Überlegungen nicht nur an die Konzilsvorgaben aus der Konstitution "Die Kirche in der Welt von heute" an. Er konkretisiert sie und versucht eine ‚Übersetzung‘ in heutige Frage - und Problemstellungen. Damit aktualisiert er das, was das Konzil der Kirche im Hier und Heute aufgegeben hat. Er macht die Konzilsaussagen gewissermaßen für uns, im Hier und Heute, ‚alltagstauglich‘.
"Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi."[7]
Es wird auch Aufgabe der Caritaspastoral sein, im Diskurs um die künftige Gestalt der Kirche theologischdeutlich zu machen, dass Kirche und Caritas nicht zwei Größen sind, die unverbunden nebeneinander bestehen (können). Unbeschadet der organisatorischen und strukturellen Unterschiede gilt es, das gegenseitige Bedingungsverhältnis zwischen verbandlicher Caritas und verfasster Kirche nicht nur zu thematisieren, sondern konkret zu beschreiben, denn diese konziliaren Impulse haben ganz konkret etwas mit dem kirchlich - caritativen Selbstverständnis im Alltag der ‚Seel-und Leibsorge‘ zu tun. Einfach deshalb, weil Gott das Heil aller Menschen will und Menschen - auch und besonders im Heilsvollzug - keine "Marionetten" sind. Es ist unsere Freudenbotschaft, das Evangelium unserer Kirche, das uns verbürgt:
- Überall, wo Gutes geschieht, ist Gottes Geist am Wirken, denn es gibt nichts Gutes, das wir als Menschen vollständig eigenmächtig je ‚leisten‘ könnten.
- Weil also wirklich jede sittlich gute Tat - egal, wo und wann und durch wen sie geschieht -immer einen Bezug zu Gott und damit auch zu Christus hat, ist sittlich gutes Tun immer gewissermaßen vom Christusereignis ‚imprägniert‘.
- Und wenn es einen Heilsvollzug nur gibt in irgendeiner Art der Beziehung zu Christus, dann ist damit auch ein Bezug zu SEINER Kirche mit gesetzt. Denn sie ist ohne Beziehung zu Christus weder denkbar noch real.
Mir scheint, dass es (auch) unsere Aufgabe als Caritas ist, dieses große, weite, befreiende Bild der Kirche in sie selber und in die Gesellschaft, in der wir leben, durch Wort und Tat (immer wieder) mit einzubringen. Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar, zwei der vielleicht bedeutendsten katholischen Theologen des vergangenen Jahrhunderts, haben dazu sowohl Grundlegendes als auch ‚Alltagstaugliches‘ gesagt, auf das wir - gerade auch in der Caritas - nicht verzichten können:
"Der Christ… Sein Amt ist, in der Nächstenliebe die Gegenwart der absoluten Liebe sowohl zu erfahren wie selbst zu verwirklichen und sichtbar zu machen."[8]
Als praktische Richtschnur für die Arbeit der Caritas, für die Dienste vor Ort, mag darum abschließend Karl Rahners "Gebet eines Laien" stehen:
"Ich muss nicht auf der Kanzel predigen, aber - was schwerer ist - durch mein Leben das Evangelium bezeugen. In einer Umgebung, die weder ausdrücklich das Christliche ablehnt, noch es wirklich liebt, sondern alles Religiöse tabuisiert..." [9]
Dabei darf uns nie aus dem Blick geraten, wie weit Liebe, Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht gehen (können). Sie tragen einfach deshalb, weil man vom Wirken des Heiligen Geistes, wie wir es in der ‚Kirchensprache‘ auszudrücken pflegen, gar nicht weit und nicht groß genug denken kann oder darf. Weil unsere Hoffnungsperspektive quasi ‚mit Gottes Geist aufgeladen‘ ist, haben wir allen Grund zu christlichem Optimismus - auch und gerade wenn wir über Veränderungen klagen oder Abschied nehmen (müssen) von überholten und auch liebgewonnenen Vorstellungen und Gewohnheiten. Immer ist es Gottes Geist, der öffnet, der weitet, der es nicht zulässt, dass wir uns im Endlichen behaglich und für lange Zeit einrichten.
Kirche ist "Sakrament des Heils" in der Welt und für die Welt, wie es das II. Vatikanische Konzils formuliert. Dabei ist Sakrament nicht ein magisches Zaubermittel, sondern "Zeichen und Werkzeug". Wofür? Kirche als ‚Grundsakrament‘ verweist und vermittelt das, was es zeichenhaft anzeigt: Gottes allgemeinen und wirksamen Heilswillen. Er gilt nicht nur allen Menschen. Er gilt der Schöpfung insgesamt. Und er gilt zu allen Zeiten und an allen Orten. Das zu bezeugen, ist Aufgabe, Wesen und Sinn von Kirche. Und zwar in Wort u n d Tat. Darum kann es Kirche ohne Caritas gar nicht geben!
Allerdings, darauf macht uns unser Erzbischof immer wieder aufmerksam, ist Kirche nicht mehr das ‚festgefügte‘ Haus, das ‚Bollwerk‘ gegen die ‚ach so böse Welt‘. Wir singen doch im Gottesdienst von "Gottes Zelt auf Erden", wir beten doch: "Verborgen ist er da". Und wir sind dabei zuversichtlich: "In menschlichen Gebärden bleibt er den Menschen nah."[10]
In Situationen, wo uns dieser christliche Optimismus, der keine, auch keine institutionellen Grenzen kennt, nicht recht weiterhilft, wo die Orientierung verloren zu gehen und die Kraft zu ermüden scheint, mag uns immer dieser unverrückbare Stern leuchten, der die Glaubwürdigkeit caritativen Tuns im Vollzug beschreibt. In Glaube, in Hoffnung und in Liebe wird die Glaubwürdigkeit nicht mehr in Frage gestellt. Der Vollzug dieser Grundtugenden bringt das innere Licht der Glaubwürdigkeit von selbst mit.
"Man kann radikale Liebe, Treue und Verantwortung, die sich nie ‚rentieren‘, leben und ‚meinen‘, alles menschliche Leben verschwinde im sinnlosen Nichts, aber im Akt solcher Lebenstat selbst ist diese Meinung nicht enthalten…Solche Grundtaten des Lebens …bejahen die erste und letzte Voraussetzung solcher Hoffnung, die wir Gott nennen." [11]
Rudolf Hubert
Referent für Caritaspastoral
Schwerin, den 02.06.2023
[1] 50 Jahre Caritas Mecklenburg, Schwerin 1996, S. 34 f
[2] Die in Klammern gesetzten Zahlen geben die Jahreszahl des Erscheinens des Bischöflichen Hirtenwortes an.
[3] Konzilskonstitution Gaudium et Spes
[4] Hans Urs von Balthasar "Kleine Fibel für verunsicherte Laien", Einsiedeln-Trier, 1980, S. 99
[5] Eugen Drewermann im Gespräch mit Jürgen Hoeren "Jan Hus - Im Feuer Gottes", Ostfildern 2015, S. 183 f
[6] Karl Rahner/Karl - Heinz Weger "Was sollen wir noch glauben?", Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 185 f
[7] Gaudium et Spes 1
[8]Hans Urs von Balthasar "Herrlichkeit", III,1, Teil 2 - Neuzeit, S. 977
[9] Karl Rahner "Gebete des Lebens", Freiburg-Basel-Wien 1993, S. 163 f
[10] "Gotteslob", Nr. 478, Strophe 4
[11] Karl Rahner "Das große Kirchenjahr", Freiburg im Breisgau 1987/ Leipzig 1990, S. 271