Wladimir Putin und der Heilige Ignatius von Loyola
Nun, zunächst waren beide in ihrem "ersten" Leben Offiziere. Der eine diente an der Schwelle zur Neuzeit der spanischen Krone, der andere im 20. Jahrhundert dem sowjetischen Geheimdienst. Was beide eint, ist zudem eine Überzeugung, ein Glaube. Ignatius glaubte, von Gott für eine besondere geschichtliche Mission berufen zu sein. Diesen Glauben möchte ich auch Putin nicht absprechen. Aber genau hier hört die Gemeinsamkeit auf bzw. hier ist der Punkt erreicht, an dem Putin von Ignatius lernen könnte.
Wenn er es täte, könnte es vielleicht sogar für den Weltfrieden von großer Bedeutung sein. Ignatius war sich sehr sicher, dass nichts, wirklich nichts, sicher ist. Darum empfahl er, alles, woran unser Herz hängt, immer wieder kritisch zu hinterfragen. Alles, was uns in Beschlag nimmt, sollte mit einem gewissen Abstand betrachtet werden. Auch die eigenen Überzeugungen. Er nannte diese Haltung Indifferenz. Sie gilt es, im ganzen Leben täglich neu einzuüben, denn es könnte sein, dass ich irre, es könnte sein, dass viele Aspekte übersehen oder verdrängt werden bei meinen Annahmen. Darum ist die Haltung der Indifferenz die Einnahme eines Standpunktes, der offen bleibt für Ergänzungen, Veränderungen, Korrekturen. Und zwar ein Leben lang. Diese Haltung ist zutiefst menschlich, weil sie den Menschen nicht überfordert. Ignatius wusste: Der Mensch ist nicht "Gott". Selbst wenn wir alles können und alles wissen - "Gott" steht dafür, dass die Wahrheit nie Besitz ist. Sie ist immer größer als alles Können und Wissen.
Was wäre, wenn Putin an sein eigenes Narrativ diese Haltung der Indifferenz anlegen würde? Die einfache Frage könnte lauten: Ob nicht alles anders ist, als ich es denke? Die Haltung der Indifferenz ist nicht nur weise. Auf Grund ihrer Offenheit bleibt sie dem "unverrückbaren Klassenstandpunkt" immer überlegen. Der Zugang zur Haltung der Indifferenz müsste auch Putin möglich sein, denn er betont ja den Glauben der Orthodoxie, die auch weiß: Gott ist immer größer, auch als unsere Erzählungen. Nun gehört zum Glauben auch die Tugend der Hoffnung. Ist es Hybris oder Naivität, sie auch für Wladimir Putin zu haben? Die Folgen für die leidgeprüfte ukrainische Bevölkerung und die vielen russischen Mütter und Väter, die ihre Söhne verloren haben und verlieren, macht die Hoffnung, dass Putin sein Narrativ in Frage stellt, zu einem dringenden Gebot christlicher Nächstenliebe!