Die Irrlichter der Verschwörungstheorien oder „Was ist der Mensch?“
Warum? Im Marxismus wird der Mensch erst durch Arbeit zum Menschen. Im Kapitalismus ist der Mensch lediglich Ware oder Kostenfaktor. Dies scheint offensichtlich dem Menschen nicht zu genügen. Man erkennt es daran, dass für viele Menschen das Leben in Gänze eine Art Ausverkauf ist, "weil es den Sinn der Existenz an Erfolgsstrategien festmacht, die bis zum Phantastischen gehen können: Bin ich als Sechzehnjährige schön genug? Habe ich genügend Freunde bei Facebook? Mit welcher App finde ich hundertachtzig Freunde, die ich zum Geburtstag einladen kann? Da muss man mithalten in dieser Wahnwelt eines Daseins, das nur noch Design ist. Man wird als Konsumentin und Konsument eingeschliffen und macht das begeistert mit." [1] Diese ‚Erlebniswelt‘ ist nicht - wie es oft versucht wird uns einzureden - ‚alternativlos‘, auch wenn sehr viele sich den ‚Verlockungen‘ des Konsum und Kommerz fast willenlos ergeben. Wenn sie dann sich langweilen oder erleben, wie oberflächlich und schnelllebig all das ist, was angeblich als ‚lebensnotwendig‘ angepriesen wird, sucht man Erklärungen für all das Missliebige. Und dann ist der Ruf nach dem ‚Sündenbock‘ nicht mehr fern, denn irgendeiner muss doch Schuld sein an der Misere des Lebens.
Hier stehen wir eigentlich schon an der Schwelle zur Religion, denn Kern aller Religionen, der nicht selten auch in ihnen verfehlt wird, ist, wie "wir uns selber als Menschen durchhalten gegenüber einer objektiv und offensichtlich unmenschlichen Wirklichkeit"[2]. Gemeint ist eine Wirklichkeit, die uns evolutiv hervorgebracht, aber nicht persönlich gemeint hat. Eine Wirklichkeit, die uns fit machen will für den Erhalt des Industriestandortes und die uns, wenn wir als ‚Kostenfaktor‘ immer weniger von Nutzen sind, möglichst rasch zu ‚entsorgen‘ gewillt ist. Eine Gesellschaft, in der das Kapital die alles bestimmende Wirklichkeit ist, wird die dafür erforderlichen Argumente sicher auch rasch finden und sie entsprechend zu begründen wissen.
Wo die Frage nach dem Menschsein nicht verdrängt wird, hat die Antwort der Religion überhaupt erst eine Chance anzukommen. Denn nur sie lehrt uns, uns selber und die Welt um uns und mit uns zuallererst als Geschenk zu begreifen. Und sie hat gute Gründe dafür. Einer davon ist, dass der Mensch "sich auf die Dauer nicht anbeten kann, weil dieser Gott doch zu armselig ist." [3](R. Hubert)
[1] Eugen Drewermann "Die Stunde des Jeremia" - im Gespräch mit Michael Albus, Ostfildern 2020, S. 68
[2] Eugen Drewermann "Die Stunde des Jeremia" - im Gespräch mit Michael Albus, Ostfildern 2020, S. 36
[3] Karl Rahner "Von der Not und dem Segen des Gebetes", Innsbruck 1949, S. 35