Eine wahrlich adventliche Botschaft – Verantworteter Glaube
Statt auf die Wissenschaft und den Rat ausgewiesener Experten zu hören und demokratisch legitimierten Gremien zu vertrauen, erfreuen sich zum Teil skurrile und obskure ‘Geheimlehren‘ und ‚Geheimkulte‘ einer Hochkonjunktur, wie man es noch vor einiger Zeit kaum für möglich gehalten hat. Nicht nur, dass die beiden grob skizzierten Richtungen ‚munter‘ eine Synthese eingehen und es immer unwesentlicher wird, aus welcher Himmelsrichtung jemand kommt. Das Ergebnis ist erschreckend! Angesichts der Corona-Pandemie ist es im wörtlichen Sinne lebensgefährlich.
"Wo kommt mir Hilfe her?"
Ich möchte auf drei Bücher aufmerksam machen, die ich allzu gern einmal in einem Band zusammen hätte unter der Überschrift: Verantworteter Glaube. Sie sind so etwas wie eine nahrhafte Wegration, wenn der (Lebens)weg steinig und mühsam zu werden droht und besonders dann, wenn - wie gerade in Pandemiezeiten - Selbstverständlichkeiten zerbrechen, Vertrautes fremd wird, Sicherheiten wegbrechen, wenn gewissermaßen sehr viel ‚in‘ s Rutschen kommt’ im Welt- und Selbstverständnis. Sie sind für mich eigentlich drei ‚Lebensretter im Glauben‘ geworden.
Zunächst Hans Urs von Balthasar. Sein Büchlein"Der Kreuzweg" beinhaltet eine eingehende Betrachtung der Kreuzwegstationen in der Berliner "St. Hedwigs-Kathedrale". [1]
"Irgendwo im Knoten des Seins liegt die Wahrheit, die alles erklärt. Deren Enthüllung wir aus allen Kräften verhindern. Dass wir sind: holdes Wunder - und unverantwortlicher Stumpfsinn. Dass wir leiden: normale Folge unseres prekären, widersprüchlichen Wesens - und revoltierende Tatsache…wer stößt uns in ein Dasein, in dem keiner nicht schuldig werden kann…Für dessen absurde Gestalt wir - Staubkörnchen im riesigen Stoffhaufen - auf keinen Fall belangt werden können…Bin ich als Ganzer das Nachbild dieses Urbilds, so dass ich mich selber gar nicht denken kann, ohne an ihn zu rühren?... Cogitor, ergo sum: Er denkt mich, darum bin ich." [2]
Dem schließt sich Karl Rahner mit seinem geistlichen Bestseller "Von der Not und dem Segen des Gebetes" an. Beginnen möchte ich mit einer Anfrage von Albert Raffelt, die wie in einem Brennglas die zentrale Problematik der christlichen Botschaft herausstellt:
"Die …Anfrage, ob nämlich die Nächstenliebe und der Mitmensch mit dem Anspruch der Heilsentscheidung und der Gottesbegegnung im zwischenmenschlichen Tun nicht hoffnungslos überlastet wird, muss aber auch gestellt werden. Gibt es überhaupt einen Punkt, an dem Nächstenliebe letztgültig angenommen werden kann? Gibt es ihn in der Geschichte? ...Vielleicht kann man erahnen, was es bedeutet, dass das Christentum sich …auf Jesus von Nazareth beruft. Nicht ein Hineinhören in die eigene Tiefe - so wichtig es als solches für die seelische Gesundheit auch wieder sein mag -, sondern einen Bezug zur Geschichte verlangt es. Und es glaubt damit auch dem Wesen des Menschen zu entsprechen." [3]
Wie antwortet Karl Rahner auf diese Frage?
"So wie es wahrhaft Erde und wahrhaft Himmel gibt, so wie wahrhaft ein lebendiger, freier, allmächtiger Gott ist und doch auch wahrhaft freie kreatürliche Person, so gibt es diese Doppelheit auch im Bittgebet: wahrhaft Schrei der Not, die das Irdische will, und wahrhafte, radikale Kapitulation des Menschen vor dem Gott der Gerichte und der Unbegreiflichkeiten. Und beides in einem? Eines, ohne das andere aufzuheben? Ja. Wie ist das möglich? So möglich, wie es Christus gibt. Verwirklicht aber tausendmal in jedem wahrhaften Christenleben, in dem man wird - o höchste Tat des Menschen - wie ein Kind, das nicht deswegen davor Angst hat, Kind und sogar kindisch zu sein, weil es seinen Vater weiser und weitsichtiger weiß und gütig in seiner unerklärten Härte, und darum doch auch nicht sein kindliches Urteil und Verlangen zu letzten Instanz macht…die Angst und das Vertrauen, den Willen zum Leben und die Bereitschaft zum Tode, die Gewissheit der Erhörung und den restlosen Verzicht, nach eigenem Plan erhört zu werden, das ist das Geheimnis des Christenlebens und des christlichen Bittgebetes. Denn für beides ist Christus der Gottmensch das eine und alleinige Gesetz." [4]
Der ‚Dritte im Bunde‘ sozusagen ist Eugen Drewermann mit seinem Buch "Dass auch der Allerniedrigste mein Bruder sei."
"Das aber bleibt gerade Dostojewskis Frage: Wann werden wir je imstande sein, uns von den Geldinteressen…freizumachen und der Stimme des Herzens, dem Flehen der Liebe zu folgen? Die Macht des Geldes wäre gebrochen, würden die Menschen begreifen, wieviel von ihrer eigenen Schönheit und Würde verlorengeht, beginnen sie erst einmal damit, ihre Selbstachtung zu binden an Geldbesitz.
Was Dostojewski in den Erniedrigten und Beleidigten mit psychologischen Mitteln erarbeitet, läuft deutlich erkennbar auf dasselbe Entweder - Oder hinaus, das Jesus bereits in der Bergpredigt so formuliert: "Niemand kann zwei Herren dienen…Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." (Mt 6, 24) Da ist eine absolute Wahl über das ganze Leben zu treffen. Entweder ein Mensch setzt seine Selbstachtung in das Vertrauen, geliebt zu sein und lieben zu dürfen - in die Idee des "Gottmenschen", christlich gesprochen, oder er setzt Macht und Geld zur Selbstbegründung seiner Selbstachtung ein - die Idee des "Menschengottes" aus den "Dämonen"… Je nachdem entscheidet sich an dieser Wahl Menschlichkeit oder Zerstörung, Heil oder Unheil, Paradies oder Hölle…Zu umgehen ist diese Wahl>> nicht, und die Frage ist nur, wie wir selbst uns entscheiden." [5]
Prisma Dostojewski
Alle drei, Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar und besonders Eugen Drewermann haben in ihrer literarischen ‚Produktion‘ wahre ‚Gebirge‘ angehäuft, bei Drewermann geht es nach wie vor ungebremst weiter. Was aber diesen drei genannten Bänden allen gemeinsam ist, ist der für den Leser beglückende Umstand, dass sie uns einen tiefen Blick in ihr Innerstes, in ihre ‚Seele‘ ermöglichen; in das, woraus, wovon und woraufhin sie leben. Hier hat man die Riesenwerke quasi ‚in nuce‘ vor sich. Bei Drewermann geschieht dies zudem durch das ‚Prisma‘ Dostojewski, den er wie kaum ein Zweiter zu erschließen vermag. Rahner - das zeigt gerade auch die Neuausgabe von Pater Anselm Grün, aber auch die Hinführung von Siebenrock und mir aus dem Jahr 2004 - steigt in diesem Buch in Tiefen und Abgründe menschlicher Existenz, wie es kaum sonst noch zu finden ist. Ähnliches kann man vielleicht von Balthasars Meditation der Kreuzwegstationen Jesu sagen. Gleichzeitig - und das zeichnet diese drei Werke aus - erschließen die Autoren in ihnen den Glauben -und zwar in einer Art und Weise, dass sie dabei ‚mit ihrer ganzen Existenz gestikulieren" (Kierkegaard).
Sie erweisen und zeigen in diesen Werken in beeindruckender Weise, dass es deshalb keinen Grund zu Fatalismus, Resignation und Skeptizismus gibt, weil ER da ist, uns begleitet, uns entgegenkommt und Gemeinschaft mit uns sucht. Es ist der jüdisch-christliche Gott vom Sinai und von Bethlehem, dessen Name "Ich bin der Ich-bin-da" lautet.
Darum scheint mir gerade in diesen drei Büchern eine wahrlich adventliche Botschaft durch. Und was ist dann Weihnachten? Weihnachten zeigt ER uns nicht nur SEINE Treue, sondern dass er seine unverbrüchliche Zusage in einer Art erfüllt, die sämtliche Erwartungen übertrifft. Davon geben alle drei ‚existentiellen Bücher‘ in atemberaubender Art Zeugnis - auch und vor allem dadurch, dass sie erweisen, dass ein Leben in der Gottesferne kein Leben ist. Diese ‚Gottesferne‘ kann sich überall und zu allen Zeiten ereignen, auch angesichts voller Supermärkte und im Digitalzeitalter, angesichts von Schönheitswahn und einem einzigen medialen ‚Trommelfeuer‘ in Bezug auf Aussehen, Gesundheit, Macht und Ansehen. Allen diesen Phänomenen ist etwas gemeinsam: Wenn das Herz leer ist und leer bleibt, dann kann der Mensch nicht wirklich leben. Er kann nicht bei sich bleiben. Er muss von sich weg fliehen. Die Frage bleibt nur, wohin oder zu wem oder was er flieht.
Unser Glaube sagt uns: Du musst nur der Sehnsucht deines Herzens trauen. In dem Maße, wie der Mensch ihr traut, sich auf sie einlässt, in dem Maße trägt sie. Denn sie ist das Sehnen im menschlichen Herzen, das Gott selbst dort hineingelegt hat. Darum stimmt der Satz von Blaise Pascal: "Wer Gott sucht, hat ihn schon gefunden." Und darum kommt eben wirklich alles auf die "Öffnung des Herzens" (Karl Rahner) an.
Rudolf Hubert
Schwerin, den 02.12.2021
[1] Die wunderbaren Illustrationen stammen von Josef Hegenbarth.
[2] Josef Hegenbarth - Hans Urs von Balthasar "Der Kreuzweg" - Der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin, Leipzig1964, S. 4-14, auch Leipzig 1996, S. 8 - 18
[3] Albert Raffelt in "Gott-Sucher", Würzburg 1991, S. 111 f
[4] Beten mit Karl Rahner, Band 1 "Von der Not und dem Segen des Gebetes", Freiburg-Basel-Wien 2004, S. 128 f
[5] Eugen Drewermann "Dass auch der Allerniedrigste mein Bruder sei", Zürich und Düsseldorf 1998, S. 95 f