Die Hoffnung ins Wort bringen
Peter Weidemann, in: Pfarrbriefservice.de
I
Anlässlich des Festes des Hl. Ansgar im Jahr 2023 verfasste der Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße wieder ein Hirtenwort, dessen Umsetzung nicht unerhebliche Auswirkungen auf Inhalt und Form pastoral-caritativen Lebens im Erzbistum Hamburg hat. Ein Jahr zuvor hatte der Erzbischof, ebenfalls in einem Hirtenwort zum selben Anlass, betont, dass er Kirche ganz wesentlich als dienende Gemeinschaft versteht.
"Ich begreife unsere Kirche als dienende Gemeinschaft…Eine karitative Haltung ist für mich wesentlich und zukunftsweisend. In der Pastoral unseres Erzbistums und unserer Pfarreien muss Caritas an Bedeutung gewinnen."
Es geht also bei all diesen Überlegungen zur Caritas, zur "dienenden Gemeinschaft" in allererster Linie um eine Haltung - um eine Haltung, die "wesentlich und zukunftsweisend" ist. Strukturen verbandlicher oder gemeindlicher Art sind wichtig und dürfen nicht vernachlässigt werden. Das trifft vor allem auch zu auf Bereiche wie Finanzen, Personal und Verwaltung. Doch es scheint, dass all das nicht hinreichend trägt ohne eine entsprechende Haltung.
Darum wird im diesjährigen Hirtenwort stärker und konkreter auf die Umsetzung dieser Haltung im Detail reflektiert, um eine Hoffnungsperspektive der Kirche unserer Welt aufzuzeigen. Die Welt braucht diese Hoffnungsperspektive dringend, weil sie Gefahr läuft, in Resignation, Mutlosigkeit und Gleichgültigkeit zu versinken. Wir können heute eine große Ambivalenz feststellen: Fast grenzenloser Angst und Ohnmacht einerseits stehen oft Fantasien gottgleicher Allmacht und brutaler Willkür sowie Machtmissbrauch in ungeahntem Ausmaß gegenüber. Darum ist es nicht nur hilfreich, es ist geboten, dass die Kirche sich in Wort und Tat gesellschaftlich einbringt, sich engagiert. Auch hier wird man sagen müssen, dass die caritative Dimension von Kirche heute in einem Umfang gefordert ist, wie es noch vor Jahren und Jahrzehnten kaum zu vermuten war. Auch wenn es politische Kräfte gibt, die versuchen, den Radius von Kirche auf den Kircheninnenraum einzugrenzen, bleibt es evident: Der Sinnhorizont und der Wertekanon christlich-jüdischen Lebens hat Europa nicht nur geprägt. Er ist für die europäische Identität unverzichtbar - heute und morgen sicherlich mehr denn je! Papst Benedikt hat dies auf die einprägsame Formel gebracht:
"Dementsprechend ist christlicher Glaube die Option dafür, dass das Empfangen dem Machen vorangeht… Nur weil wir empfangen haben, können wir auch ‚machen‘."1
Dabei trifft er sich mit Analysen und Folgerungen von Eugen Drewermann, der in einer bewegenden Passage es so formuliert:
"Kaum eine Information ist erschreckender, als dass in unserer Gesellschaft nur noch etwa 40% der Bevölkerung an ein persönliches Leben jenseits des Todes glauben… Aber es scheint, als sei die personale Substanz, die geistige Konsistenz des Individuellen derart ausgezehrt, dass sich im Bewusstsein zunehmend die Lebenswirklichkeit der Großstädte ausbreitet: die graue Anonymität, die mechanisierte Sinnlosigkeit, die fast zwanghafte Reduktion des Lebens auf Konsum, Verwertbarkeit und scheinrationale Planbarkeit, und dazu parallel ein Tod, der so belanglos ist, wie man gelebt hat: ein statistisches Kommen und Gehen ohne Sinn und Bedeutung." 2
Drewermann formuliert den Einspruch des Christlichen als einen "anderen Stil des Menschseins", der einen "Freiraum" schafft für ein Leben aus dem Glauben, was gleichbedeutend ist mit einem Leben ohne Angst:
"Ja, es könnte mit unserem Leben eine erstaunliche Wandlung vor sich gehen: ein anderer Stil des Menschseins könnte geboren werden, indem die Grundfrage unseres Lebens nicht mehr länger lautet, wie führe ich mich den anderen vor oder wie führe ich mich vor den anderen auf, sondern einzig darauf ausgerichtet wäre, wie ich dem anderen von Nutzen sein kann. Es ginge nicht länger mehr darum, wie ich mich vor den Augen der anderen durch Potemkinsche Dörferbauten, durch Größenstaffagen scheinbarer Herrlichkeit absichern kann, es ginge darum, wie ich selber zu meiner eigenen Angst ja sagen und mit ihr ein Stück vertrauensvoller umgehen kann. Am Ende entstünde ein Freiraum, der es sogar ermöglicht, die Hilflosigkeit, die Angst, die Kleinheit auch im anderen wahrzunehmen und ihm die Chance zu geben, gefahrlos von den Podesten herunterzusteigen, auf die er in seiner Angst geflohen war." 3
Der christliche Einspruch, oft auch Widerspruch zu gesellschaftlichen Prozessen ist - das dürfte deutlich geworden sein - unverzichtbar. Und zwar nicht abstrakt, sondern sehr konkret in allen entscheidenden Lebensfragen und Lebensvollzügen. Doch er kann nur hilfreich und wirksam sein, wenn die eigene Geschichte mitbedacht wird. Und zwar in einer Weise, die eigene Defizite nicht bagatellisiert oder verdrängt, sondern sie benennt, um aus Fehlern die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Darum ist ehrliche "Bestandsaufnahme" nicht nur eine Selbstverständlichkeit. Sie ist im wörtlichen Sinn not-wendig, wenn Kirche ihr Potential entfalten und sich nicht selber hemmen will. Erzbischof Dr. Heße schreibt darum auch in seinem jüngsten Hirtenwort:
"Längst ist die Kirche kein großer und stolzer Luxusdampfer mehr. Im Gegenteil, das Schiff der Kirche hat viele Lecks und kräftig Schlagseite…"
Die "Lecks" und auch die "Schlagseite" der Kirche hat Erzbischof Stefan mehrfach konkret benannt, jüngst auch in seiner Predigt anlässlich des Heimgangs von Weihbischof em. Norbert Werbs:
- Die Stellung der Frau in der Kirche
- Die Partizipation der Laien
- Der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen4
- Die unausgeglichene Machtbalance im Raum Kirche.
Dass diese Defizite einen "Reformstau" und damit einen dringenden Handlungsbedarf innerhalb der Kirche anzeigen, dürfte unzweifelhaft sein.5 Es bleibt die Frage zu klären, wie der Umgang mit diesem "Befund" so gestaltet werden kann, dass er nicht in Fatalismus oder Resignation ob der Größe der Aufgaben abgleitet. Hier scheint Karl Rahner zunächst einen Hinweis zu geben, der gerade in Situationen weiterhilft, wo die Orientierung verloren zu gehen und die Kraft zu ermüden scheint:
"Man kann radikale Liebe, Treue und Verantwortung, die sich nie ‚rentieren‘, leben und ‚meinen‘, alles menschliche Leben verschwinde im sinnlosen Nichts, aber im Akt solcher Lebenstat selbst ist diese Meinung nicht enthalten…Solche Grundtaten des Lebens …bejahen die erste und letzte Voraussetzung solcher Hoffnung, die wir Gott nennen."6
Liebe, Treue und Verantwortung bezeichnen exakt den "Ort" der Caritas in der Kirche.7 Wo die Liebe ist, da ist Gott. So singen wir. Und wir dürfen hoffnungsvoll weitersingen, denn, so schreibt unser Erzbischof weiter:
"In diesem Bild der kleinen Schiffe deutet sich für mich etwas Neues an, eine neue Gestalt von Kirche…Wenn unsere Kirche immer mehr den Barkassen ähnelt, so wirkt dies nur auf den ersten Blick wie ein Abstieg. Diese Boote sind aber viel näher an dem kleinen Boot dran, in dem Jesus mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth gesessen hat. Kleine Boote sind …wendiger und schneller zu manövrieren. Kleine Boote bedeuten, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen und sich zuständig fühlen… Kleine Boote bedeuten auch eine größere Nähe im Miteinander, wenn auch im kleineren Kreis."
Der Bischof lädt alle Christen im Erzbistum Hamburg ein, "sich zu fragen, wie inneres Leben wachsen kann." Er verweist auf "die Verwurzelung in der Hoffnung, die aus dem inneren Leben wächst" und auf vielfältige Angebote "von Exerzitien bis hin zu Bibelworkshops oder Vortragsreihen." Der Erzbischof ermutigt vor allem zur Eigeninitiative:
"Wenn es in ihrer Nähe kein Angebot gibt, seien Sie mutig und machen den ersten Schritt, indem Sie z.B. eine Gebetszeit in der Pfarrkirche anbieten, einen Lesekreis zu theologischer oder geistlicher Literatur ins Leben rufen oder woanders aufsuchen. Es wäre ein großes Hoffnungszeichen, wenn wir… die Stärke unserer Hoffnung … zur Entfaltung bringen, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, sie ins Wort zu bringen, sie auszudrücken."
II.
Es wird immer Skeptiker geben, die davon reden, dass "alles doch nur zu schön sei, um wahr zu sein." Sie können dann nur noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sich in einem Selbstwiderspruch befinden, wenn sie vorgeben, (dennoch) Menschen der Hoffnung zu sein. Denn
"wer so fragt, hat schon an der Hoffnung vorbeigefragt. Er will nicht die Hoffnung tun, sondern das Erhoffte schon genießen." 8
Wieder andere werden vielleicht sagen: "Schöne Worte sind zu wenig." Und eigentlich haben sie recht. Nämlich dann, wenn es nur bei Worten bleibt, wo Tun verdrängt oder unterlassen wird. Die Hoffnungsperspektive wird in ihr Gegenteil verkehrt, ja pervertiert, wenn Worte anstelle von aktivem Tun als Alibi herhalten, wo in Wirklichkeit Taten der Hoffnung und Liebe gefordert sind.
Darum geht es in beiden Hirtenworten: Es bedarf einer Hoffnungsperspektive im Hier und Heute, damit Kirche wirklich Kirche sein kann: Zeichen und Werkzeug. Doch wofür eigentlich und für wen? Diese Fragen sind nicht neu. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich Mitte des vergangenen Jahrhunderts mit diesen Fragen intensiv auseinandergesetzt. Und es hat Antworten gefunden. Antworten, die noch in vielen Bereichen - weiter oben wurden einige Stichworte angeführt - auf ihre Umsetzung warten. Das ist weder eine kühne Behauptung noch eine neue Erkenntnis, denn schon vor über einem halben Jahrhundert war vom "Anfang des Anfangs" die Rede. Darum sollten wir heute bei all unseren Überlegungen die eigene Geschichte nicht vernachlässigen. Gerade im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils - sowohl in der Vorbereitung, also auf das Konzil hin, als auch in der unmittelbaren Nachkonzilszeit - wurde von den "Vätern des Konzils" und den "Konzilstheologen" vieles vorgedacht, was wir heute mühsam nach-denken, und was vor allem heute von uns nicht nur bedacht, sondern vor allem getan werden muss.
"Das Konzil hat einen Anfang… für die Erneuerung gesetzt… den Anfang des Anfangs. Das ist viel. Aber eben nur den Anfang des Anfangs. Alles, fast alles ist noch Buchstabe, aus dem Geist und Leben, Dienst, Glaube und Hoffnung werden können…Anfang des Anfangs - wozu? Natürlich zum Anfang, der immer schon gesetzt und immer schon gelebt wurde, zu Jesus Christus… zu seiner Gnade, die allein erlöst und den Zugang zum lebendigen Gott eröffnet. Aber Anfang des Anfangs so, dass Jesus Christus und seine Kirche dieser Zeit von heute und morgen wirklich begegnen." (37)
Es geht bei all dem um den "Zugang zum lebendigen Gott." Und doch: Wie schwer scheint es bisweilen heute "die Stärke unserer Hoffnung…zur Entfaltung (zu) bringen… sie auszudrücken."? Vielleicht gelingt uns das Leben als Christen in Kirche und Gesellschaft besser, leichter, wenn wir uns bewusster werden:
"… Alles Kirchliche, also alles Institutionelle, Rechtliche, Sakramentale, alles Wort, aller Betrieb in der Kirche und also auch alle Reform von all diesem Kirchlichen ist im letzten Verstand und in der letzten Absicht, so es sich nur selber richtig begreift und sich nicht selbst vergötzt, reiner Dienst, bloße Hilfestellung, für etwas ganz anderes, etwas ganz Einfaches und so gerade unbegreiflich Schweres und Seliges zumal: für Glaube, Hoffnung und Liebe in den Herzen aller Menschen."9 (52)
Es geht um Glaube, Hoffnung und Liebe, es geht um den Dienst, damit diese Tugenden wirklich nicht nur bei einigen Wenigen, sondern in "allen Herzen der Menschen" zur Entfaltung kommen. Darum kann und muss Kirche eine "dienende Gemeinschaft" sein, darum müssen wir uns dem Leben stellen. Dem ganzen Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, mit allen Freuden und Sehnsüchten, mit aller Bitternis und aller überbordenden Freude, mit aller Hoffnung und mit allen Fragen und Zweifeln. Der Glaube ist nur echt, wenn er dem Leben dient. Das mag mitunter recht leicht gehen. Dann ist es Gnade, für die wir nur dankbar sein können. Es kann - und das scheint gerade heute nicht selten zu sein - vielleicht die Lebensaufgabe zu sein, die "Hoffnung wider alle Hoffnung" in "heiligem Trotz" zu leben und somit zu bezeugen. Das gilt für alle Bereiche des Lebens, ja, es gilt auch für menschliches Sterben als Teil des Lebens, das nur allzu oft in unserer vom Machbarkeitswahn dominierten Welt verdrängt wird. Es gilt auch und besonders für alle Nöte und Absurditäten, deren Zeuge wir auch heute sind, ja sein müssen.
"Es ist besser, zu sterben mit einer brennenden Frage auf dem Herzen, als mit einem nicht mehr ganz ehrlichen Glauben."10
Noch einmal zurück zum jüngsten Hirtenwort, weil es den "Ort" der Caritas exakt beschreibt:
"Es wäre ein großes Hoffnungszeichen, wenn wir…die Stärke unserer Hoffnung … zur Entfaltung bringen, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, sie ins Wort zu bringen, sie auszudrücken."
Das Wesen der Caritas, die gelebte Nächstenliebe in unseren Gemeinden und Pfarreien, die bei Überforderung auf bewährte, strukturierte und professionelle Hilfen zurückgreifen kann, ist ein "Hoffnungszeichen" für all die Vielen… die der Hoffnung bedürfen. Wir brauchen diese gelebte Hoffnung heute in besonders großem Maße als Antwort auf all die Ängste und Herausforderungen. Das Ziel dieser Hoffnung ist seit der Menschwerdung Gottes für gläubige Menschen unzweifelhaft durch Gott vorgegeben, denn
"Das letzte Wort der Theologie ist die Aufforderung, die Nächstenliebe zu vollziehen… als Erfüllung des Begriffes, den Gott mit seiner Inkarnation vom Menschen gebildet hat."11
Der Schweizer Theologie Hans Urs von Balthasar sagt es so:
"Gewiss geht diese Hoffnung auf die Liebe des Bruders.12 Aber die Liebe des Bruders ist die Liebe Gottes in ihm, die er liebend begreift, ergreift, in sich walten lässt. Und diese Liebe anerkennen heißt, bewusst oder unbewusst anerkennen, dass Gottes Liebe Menschengestalt angenommen hat. Jesus Christus anerkennen, ob man seine Existenz kennt oder nicht. Ihn anerkennen einfach dadurch, dass man Gottes Liebe - wirklich G o t t e s Liebe - als für mich Menschen verpflichtend gelten lässt. Wer das tut, ist offen oder verborgen ein Mitglied der Kirche, sofern sie die Gemeinschaft der Heiligen ist, die sich aufbaut durch die Bruderliebe.13 Wer für den Bruder hofft, der hofft, dass der Bruder Gott, Christus und die Kirche findet. Etwas anderes dem Bruder in der Liebe zu wünschen, würde sich nicht verlohnen."14
Einprägsamer als es Hans Urs von Balthasar vor nunmehr 70 Jahren der Kirche gewissermaßen "ins Stammbuch schrieb", kann man die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute kaum beschreiben. Es sei denn, man fügt hinzu, dass wir nur m i t den großen Glaubenszeugen der Kirche aus dem 20. Jahrhundert die Gegenwart gestalten und mutig in die Zukunft gehen. Dazu müssen wir uns mit ihnen beschäftigen, denn ihnen verdanken wir in allererste Linie die Aufbereitung der vielhundertjährigen Tradition der Kirche, die Impulse der "Kirchenväter", aber auch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Fragen und Herausforderungen der Neuzeit. Vieles, was heute auf uns als Aufgaben wartet, haben diese großen Zeugen - exemplarisch seien die Brüder Hugo und Karl Rahner, Reinhold Schneider, Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar genannt - gewissermaßen für uns vor-ge-dacht und vor-be-dacht. An uns ist es, ihren Gedanken nachzugehen, ihre Impulse aufzuspüren und sie mutig aufzugreifen, damit der "Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance"15 im Hier und Heute gelingt.
1 Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. "Einführung in das Christentum", 10. Auflage 2011, S. 66
2 Eugen Drewermann "Das wichtigste im Leben", ausgewählt und herausgegeben von Ulrich Peters, Ostfildern 2015, S. 114 (Psychoanalyse und Moraltheologie III, 19)
3 Eugen Drewermann "Das wichtigste im Leben", ausgewählt und herausgegeben von Ulrich Peters, Ostfildern 2015, S.105 (Markus II, 58 f)
4 Zu ergänzen wäre hier sicherlich, dass es in der Kirche auch und vor allem darum gehen sollte, die weiterreichende Frage zu bedenken, wie wir heute und morgen grundsätzlich mit Scheitern und Tragik umgehen, denn der Gott, den Jesus verkündet, geht über Gerechtigkeit hinaus. Er ist "der gute Hirt", der dem verirrten Schaf nachgeht, um es zu retten. Der Gott Jesu Christi ist in seinem Wesen und Tun - wie der barmherzige Samariter - ein Helfer, der die Wunden versorgt, verbindet und heilt. Seine Barmherzigkeit ist sein Kennmerkmal, das Menschen in einer Welt der Tragik immer und überall nötig haben. Denn "nicht Glaube oder Unglaube formieren die erste Instanz, sondern die Anerkennung des Tragischen; sie geht dem Glauben voraus. Das Christentum ist nur fassbar in einer unheilbaren, aber erlösbaren Welt. Im Verständnis des Tragischen als eines unaufhebbaren Daseins-Widerspruchs liegt eine wesentliche Kontinuität unserer Überlieferung; in seiner Leugnung ein nicht zu verschmerzender Bruch." (Pfeiler im Strom, Wiesbaden 1958, S. 96)
5 Das schließt nicht aus, dass es einen Dissens geben kann (und gibt!) über Wege der Aufarbeitung systemischer Fehler und Fehlentwicklungen.
6 Karl Rahner "Das große Kirchenjahr", Freiburg im Breisgau 1987/ Leipzig 1990, S. 271
7 Damit wird sogleich deutlich, dass es diese Vollzüge selbstverständlich auch - und zwar in vielfachen Formen - außerhalb institutioneller Kirchlichkeit gibt. Reizvoll ist deshalb das Gespräch über das Selbstverständnis, die Gestalt und "Reichweite" von Kirche, das hier nicht weitergeführt werden kann.
8 Karl Rahner "Das große Kirchenjahr", Freiburg im Breisgau 1987/Leipzig 1990, S. 277
9 Karl Rahner "Das Konzil - ein neuer Beginn", mit einer Hinführung von Karl Kardinal Lehmann, herausgegeben von Andreas R. Batlogg und Albert Raffelt, Freiburg-Basel-Wien 2012. (Die Zahlen in Klammern sind die Seitenzahlen in diesem Band) - Der Text des Vortrages ist u.a. auch abgedruckt in Rahners SW, 21/2, S. 775 ff
10 Reinhold Schneider, Pfeiler im Strom, Wiesbaden 1958, S. 242
11 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S. 317
12 Heute gehört die Schwester selbstredend dazu!
13 Auch hier sollte der Hinweis auf die Geschwisterlichkeit aller Menschen nicht fehlen!
14 Hans Urs von Balthasar "Die Gottesfrage des heutigen Menschen", Wien 1956, S. 215 - Der Text ist auch vollumfänglich und unverändert in der Neuausgabe (Erweiterte Neuausgabe nach den Korrekturen und Zusätzen des Verfassers, Einsiedeln, Freiburg 2009, S. 218, herausgegeben und eingeleitet von Alois M. Haas) zu finden.- Dieser Text hat insofern eine wegweisende Bedeutung, als dass Balthasar hier in den selben Worten das "einholt", was Karl Rahner unter dem Begriff des "anonymen Christen" versteht. Wer den Text Balthasars unvoreingenommen liest, könnte rasch vermuten, hier einen "Original Rahner" vor sich zu haben. Was das für die künftige Gestalt von Kirche für eine Bedeutung hat, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Anzumerken bleibt allerdings, dass es der vielleicht bekannteste Kritiker des "anonymen Christen" ist, der hier eine glänzende Apologetik für das mit diesem Begriff Gemeinte vorlegt.
15 Buchtitel von Karl Rahner, Freiburg 1972. Das Buch wurde von Karl Rahner anlässlich der Würzburger Synode geschrieben, weil er in Sorge war, dass der Kirche vor lauter Detailfragen eine Gesamtkonzeption abhandenkommt. War das Buch auch zunächst nicht sehr "beliebt", erlebte es zwischenzeitlich drei Auflagen (die jüngste im Jahr 2018). Im Pastoralpapier zu den Pastoralen Räumen im Erzbistum Hamburg ("Schönfeld-Papier") ist es das meistzitierte Buch!