Den Glauben leben
Wie könnten wir sonst noch an Menschlichkeit glauben? Wie könnten wir sonst noch irgendetwas anfangen mit dem, was Menschlichkeit aussagt und bedeutet?
In seinem Buch "Wir glauben, weil wir lieben" macht Eugen Drewermann diese Aussage an einem besonders schönen Beispiel deutlich. Er schreibt dort zum Vergleich Buddha - Jesus:
"Der Buddha hat gelernt, als Königssohn zum Bettler zu werden, um am Ende ein Mönch zu sein. Jesus hat gelernt (und gelehrt - R.H.) in jedem Bettler den Königssohn zu entdecken." [1]
Und nur eine Seite davor schreibt er:
"Buddha kann sich am Ende ins Universum auflösen. Jesus kann die Angst, die er als Problem entdeckt, nur lösen, indem er dem Individuum hilft, sich selber in aller Ausgesetztheit inmitten des Universums in den Händen Gottes zu bergen."[2]
Das Ausweichen auf Esoterik oder fernöstliche Mystik, ohne sich ernsthaft zu fragen, ob die angestammte Tradition nicht die besseren Sinnentwürfe bereithält, erreicht eben sowenig das Niveau des Glaubens, als jener Atheismus, der Gottes Existenz - durchaus aus verschiedenen Gründen - bestreitet. Sein Postulat ist der ‚autonome‘ Mensch, der sich niemandem (mehr) verdankt.
"Nachchristlich ist Atheismus in seiner konsequentesten Form das Postulat, der Mensch dürfe, um kein Entfremdeter mehr zu sein, sondern den "positiven Humanismus" zu erreichen, sich niemandem mehr außer sich selber verdanken, und auf dieses Ziel hin müsse der ganze wirtschaftliche und kulturelle Weltprozess zusteuern. In dieser Forderung treffen sich die weltmächtigsten Ideologien von heute, ob sie nun von Feuerbach oder Marx oder Nietzsche oder Freud vorgetragen werden."[3]
Wo blieben wir mit all unserem Fortschrittsoptimismus, wenn es den Glauben an Gott nicht gäbe? Man müsste ihn erfinden, wenn wir alle Sinne heil behalten wollen angesichts der Realität, wie sie sich uns immer wieder - zumindest auch - zeigt. Und wo blieben wir, wenn es IHN nicht gegeben hätte: Jesus, in dem uns die Liebe Gottes tatsächlich leibhaftig erschienen ist. Vor kurzem las ich in "Christusfreude" aus dem Jahr 1973. Es ist das geistliche Testament des zumeist vergessenen, alten elsässischen Prälaten Karl Pfleger, der nicht nur ein großer ‚Seelenführer‘ war, sondern auch ein großer Anhänger von Teilhard de Chardin. Bei aller Euphorie für Teilhards "Lobgesang des Alls" kommt Karl Pfleger zu Aussagen, bei denen einem der Atem stockt. Es geht um den Trost des Glaubens angesichts der überbordenden Tragik, die das eigentliche "Wasserzeichen der Schöpfung" (Balthasar) ist.
"Wie froh bin ich, wenn ich denken und sagen darf, dass dies Unglück in erster Linie nicht auf das Konto der göttlichen Vorsehung kommt, sondern auf das Konto des Universums…Das Universum ist ein Produkt von Raum und Zeit. Raum und Zeit sind ein Auseinander und Nacheinander, ein Vergehen und Zerfallen. Auflösung, Krankheit, Zufall, Unfall, Vergänglichkeit und Tod…" (Karl Pfleger "Christusfreude", Frankfurt/Main 1973, S. 70)
Wenn wir heute auf manche Geschehnisse in Kirche und Gesellschaft blicken, fällt mir der mahnende Ruf des Osnabrücker Bischofs Bode ein anlässlich des 25 -jährigen Bistumsjubiläums des Erzbistums Hamburg im Jahr 2020. Laut und vernehmlich erinnerte Bode die Christen daran, endlich wieder zurück zu kehren auf den "Weg nach Galiläa". Raus aus den vermeintlichen Sicherheiten, zurück zu den Ursprüngen unseres Glaubens. Dorthin, wo alles begann, in Galiläa, nicht in Jerusalem oder Rom. Er berief sich dabei nicht zufällig auf Eugen Drewermann. Denn Drewermann - bei allem Reichtum seines Werkes - vermag das Eigentliche des Glaubens prägnant auf den Punkt zu bringen:
"Die alles entscheidende Frage lautet: Existieren wir aus Angst oder aus Vertrauen? Dazwischen gestaltet sich alles, - ob wir angstgetrieben durch die Welt laufen oder ob wir die Brüchigkeit dieser Welt durch Vertrauen zu überwinden vermögen..."[4]
Es bleibt von daher auch die existentiell wichtigste Frage: Wer oder was kann Angst wirklich beruhigen? Christlicher Glaube vertraut auf eine "letzte Hoffnung über unsere …Selbstentfremdung hinaus"[5], wie sie uns Jesus vorgelebt hat.
Kommt diese Botschaft heute an? Kann sie überhaupt noch ankommen? Gibt es eine Erwartungshaltung, einen Fragehorizont, in dem die christliche Botschaft als Antwort vernehmbar und verständlich wird? Diese Fragen berühren das Fundament unseres Seins und unseres Glaubens gleichermaßen. Dabei - so Karl Rahner - ist das Christentum letztlich das "Einfachste und Selbstverständlichste".
"Wie selig ist es: Man kann an dem unendlichen Geheimnis, das uns stille liebend umfängt, nicht so leicht vorbeilaufen, wie sowohl die Skeptiker und Atheisten wie auch die Engen unter den Christen meinen, die sich Gott zu sehr nach ihrem kleinen Herzen denken...darum gerade ist das Christentum und sein Glaube das Einfachste und Selbstverständlichste zumal, weil es gar nichts sagt, als dass wir in die Unmittelbarkeit des Geheimnisses Gottes selbst gerufen sind, dieses in unsagbarer Nähe sich uns selbst gibt, diese Nähe als unwiderruflich offenbar und endgültig geworden ist im Menschensohn, der die Gegenwart des ewigen Gottes unter uns ist, und in dieser Fleisch und Geschichte gewordenen Endgültigkeit der göttlichen Selbstzusage alle, die diese Zusage auch in der Dimension der Geschichte und Gemeinschaft gehört haben, gerufen sind zur Gemeinschaft, Kirche genannt" [6]
Die Kirche fragt sich heute oft: Was muss verbessert werden im Management, in den Strukturen und in der Verwaltung der Finanzen? Gehen diese Fragen nicht am Kern dessen vorbei, worum es eigentlich geht, gehen sollte? Wie kann die Verkündigung ‚zeitgemäßer‘ erfolgen? Auch diese Frage scheint zwar in gewisser Weise näher am Menschen dran, andererseits offenbart sie ein Dilemma: Viele neue Formen der Verkündigung erreichen offensichtlich nicht das, was sie erreichen wollen oder sollen. Und dann legt sich der Rückschluss nicht selten nahe, zurück zum Alten, zum Bewährten zu gehen. "Die gute alte Zeit" ist solch eine Formel, die eine Wirklichkeit versucht zu beschreiben, die es so gar nicht gab und die geeignet zu sein scheint, viele gute und kreative Ideen und Konzepte von vornherein zu verdächtigen, das ‚Eigentliche‘ zu verraten oder im Ansatz zu überfordern.
Hier hilft vielleicht wieder ein kleiner Text zur Orientierung, bei dem ich nicht anstehe, ihn vielleicht als die ‚Kurzformel‘ der Theologie Eugen Drewermanns zu bezeichnen:
"Keine bessere Verkündigung ist als ein Mensch, der zu leben beginnt, und der schönste Lobpreis Gottes ist ein glücklicher Mensch. Wem das zu wenig ist, der hat keine Ahnung, wie gefährdet wir wirklich sind, wie ausgespannt zwischen Himmel und Abgrund…Das ganze Evangelium besteht darin, dass wir es durch uns leben auf den anderen hin, und dann wird man sehen, was stimmt. Da mag man staunen und dankbar sein, aber es ist am Ende alles, was der Gott Israels zu sagen hat. Dies, dass er mit uns geht, ist die einzig wichtige Erfahrung der ganzen Bibel, und dass er bei uns ist und möchte, dass wir leben."[7]
Rudolf Hubert
[1] Eugen Drewermann "Wir glauben, weil wir lieben", Ostfildern 2011 (2. Auflage), S. 62
[2] Eugen Drewermann "Wir glauben, weil wir lieben", Ostfildern 2011 (2. Auflage), S. 61
[3] Hans Urs von Balthasar "Kleine Fibel für verunsicherte Laien", Einsiedeln, Trier 1980 (dritte Auflage 1989), S. 98 - Dieser Atheismus hat auch den Boden bereitet hat für Agnostizismus und Pragmatismus. Für beide ist schon das Stellen der Sinnfrage überflüssig, sinnlos und belanglos. "Es kommt alles so, wie es kommt" - so lautet deren ‚Credo‘, so dass keine Antwort vernehmbar ist, wo und weil keine Frage gestellt wird.
[4] Eugen Drewermann - "Die großen Fragen", Ostfildern, 2012, S. 22
[5] Karl Rahner "Kritisches Wort", Freiburg-Basel-Wien", 1972, S. 99
[6] Karl Rahner "Gegenwart des Christentums", Freiburg-Basel-Wien, 1963, S.52
[7] Eugen Drewermann "Das Wichtigste im Leben", Ostfildern 2015, S. 14 - aus "Und legte ihnen die Hände auf", 131