„Frieden beginnt bei mir“
Kriege, ob im Sudan, im Jemen, in Syrien und wo sonst noch überall, ja, selbst buchstäblich vor der eigenen Haustür, im Nachbarland Ukraine. Und wem stockt nicht der Atem, wenn in Statements beispielsweise die Unterstützung für das überfallene Volk der Ukraine in einem Atemzug genannt wird mit der Verschwendung von Steuermitteln? Wut und Ärger helfen allerdings nicht weiter, zumal der Satz der Jahreskampagne ganz entscheidend unseren "Eigenanteil" thematisiert, nämlich, dass der Friede bei mir, bei jedem persönlich beginnt.
Was heißt das konkret? Im Jahr 2023 hat Erzbischof Stefan eine schonungslose Analyse vorgelegt. Ehrlichkeit und Offenheit sind zwei Aspekte, ohne die eine gründliche "Gewissenserforschung" nicht auskommt:
"Längst ist die Kirche kein großer und stolzer Luxusdampfer mehr. Im Gegenteil, das Schiff der Kirche hat viele Lecks und kräftig Schlagseite…"1
Diese "Diagnose" muss nicht zwangsläufig zu Resignation und Frustration führen. Vielmehr deutet sich ein Realismus an, der für viele in Gesellschaft und Kirche sowohl Herausforderung als auch Chance bedeutet, denn - so fährt Erzbischof Stefan fort:
"In diesem Bild der kleinen Schiffe deutet sich für mich etwas Neues an, eine neue Gestalt von Kirche… Wenn unsere Kirche immer mehr den Barkassen ähnelt, so wirkt dies nur auf den ersten Blick wie ein Abstieg. Diese Boote sind aber viel näher an dem kleinen Boot dran, in dem Jesus mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth gesessen hat. Kleine Boote sind… wendiger und schneller zu manövrieren. Kleine Boote bedeuten, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen und sich zuständig fühlen… Kleine Boote bedeuten auch eine größere Nähe im Miteinander, wenn auch im kleineren Kreis." 2
Lassen Sie mich auf einige wenige Aspekte näher eingehen, die mit dem Thema Frieden zu tun haben, der bei uns beginnt.
I
"Diese Boote sind aber viel näher an dem kleinen Boot dran, in dem Jesus mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth gesessen hat."
Was ist das für ein "Boot" in der Nähe von Jesus? In meiner Jugendzeit sangen wir kräftig mit beim Lied "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt". Und heute? Die neueste, übrigens ökumenische Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) brachte es auf den Punkt: Der "Markenkern" unserer Kirche ist: die Diakonie, oder eben CARITAS. Das caritative Engagement wird nicht nur geschätzt, innerhalb und außerhalb der Kirche. Die Gesellschaft erwartet es zu einem sehr hohen Prozentsatz gerade von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden. Das ist unser Bonus, unser Vertrauensvorschuss, das ist das, wo man der Kirche Kompetenz zurechnet, was man ihr abnimmt, wo sie glaubwürdig ist. Bei Aktionen in der Woche des bürgerschaftlichen Engagements, bei den Interkulturellen Wochen, in Glaubens- und Gesprächskreisen, in Foren und Beratungen, beispielsweise im Interreligiösen Dialog, ist Kirche durch sozialdiakonisches und sozialräumliches Engagement genau dort präsent, wo heute der Dienst der Fußwaschung zu leisten ist.
Dialog und Engagement sind "Bausteine" aktiver Friedensarbeit.
II.
"Kleine Boote bedeuten, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen und sich zuständig fühlen."
Lassen Sie mich kurz auf unsere "geistlichen Oasentage" eingehen. Für Mitarbeitende der Caritas gestalten wir zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Spätherbst, so genannte "Oasentage". Das sind Tage der Begegnung, des Zuspruchs, der Gespräche. Aber auch Tage des Entspannens, des Zur-Ruhe-Kommens, des Abstandnehmens vom Alltagsgeschehen. Einer der Teilnehmer beschrieb seine Eindrücke so:
"Oasentage sind für mich die schönste Form einer Mitarbeiterpflege innerhalb unserer Caritas im Norden. Seit Jahren fahre ich mit großer Freude zu diesen Tagen nach Graal-Müritz. Die Gewichtung zwischen inhaltlicher Arbeit und kreativen Angeboten ist in der Regel so ausgewogen, dass die ‚Seele‘ produktiv zur Ruhe kommen kann.
Besonders die Tatsache, dass Kollegen aus den verschiedensten Standorten und Arbeitsbereichen völlig gleichberechtigt drei Tage miteinander gestalten, ist für mich sehr wichtig. Da treffen sich Sozialarbeiter, Verwaltungsmitarbeiter, Hausmeister oder Altenpfleger, einmal sogar eine Regionalleitung. Ein echter Caritas-Ausschnitt!"
Unser Erzbischof hat deutlich gemacht, dass er sich eine Kirche nur als dienende Gemeinschaft vorstellen kann. Und im Hirtenwort 2022 hat er sich auch unmissverständlich über die Art des Umgangs miteinander geäußert durch das Prinzip Augenhöhe, das er in seiner Ortskirche, zu der auch die Caritas als Ort kirchlichen Lebens wesentlich gehört, verwirklicht sehen möchte.
Solidarischer Dienst und das Prinzip Augenhöhe im Umgang miteinander sind weitere "Bausteine" aktiver Friedensarbeit.
III
Inmitten der Leistungserbringung in den Beratungslandschaften, im pflegerischen Bereich, in der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und in der rechtlichen und sozialen Betreuung entsteht unweigerlich die Frage nach dem Warum und Wozu, nach Sinn und Ziel unseres Tuns; entsteht die Frage, was unser Engagement nährt, was unser "Profil", unser "Markenkern" ist, was uns in unserem Dienst trägt und ermutigt. Unser Glaube ist die begründete Ahnung davon, dass es sich um keine Fata Morgana handelt, wenn ich von Oasen in der Wüste träume. Papst Benedikt sagte es einmal so:
"Christlicher Glaube lebt davon, dass es nicht bloß objektiven Sinn gibt, sondern dass dieser Sinn mich kennt und liebt, dass ich mich ihm anvertrauen kann mit der Gebärde des Kindes, dass im Du der Mutter all seine Fragen geborgen weiß."3
Wie kann das gelingen? Wie komme ich quasi in die Kirche, in die Caritas können wir auch sagen, hinein? Mir hilft zunächst eine Antwort aus der alten Kirche:
"Man muss sich auf den Weg machen, man muss das Wort als Weg nehmen, sich in es einleben, um dann mit dem Experiment des Lebens an die Erfahrung der Wirklichkeit heranzukommen."4
Dabei sei eines in aller Deutlichkeit gesagt: Jegliche Engführung ist fehl am Platze. Auch das Beharren auf irgendeine herausgehobene Position, der ein Alleinstellungsmerkmal zukommt, das andere ausschließt, läuft in die verkehrte Richtung. Denn, um es mit den Worten Karl Rahners zu sagen:
"Man kann radikale Liebe, Treue und Verantwortung, die sich nie ‚rentieren‘, leben und ‚meinen‘, alles menschliche Leben verschwinde im sinnlosen Nichts, aber im Akt solcher Lebenstat selbst ist diese Meinung nicht enthalten… Solche Grundtaten des Lebens … bejahen die erste und letzte Voraussetzung solcher Hoffnung, die wir Gott nennen."5
Die Wahrnehmung zu schärfen, wo überall in der Welt Gottes Geist Liebe und Hoffnung stiftet, ist ein weiterer "Baustein" aktiver Friedensarbeit.
Kirche gibt es, Caritas gibt es, um diese Weite der Hoffnung und Liebe zu bezeugen. Das ist unser Friedensdienst, den wir der Welt schulden. Um es mit den Worten des früheren Aachener Bischofs zu sagen:
"Warum liebe ich die Kirche über alles, was ich in der Welt habe? Deswegen, weil ich daran glaube, dass in dieser Kirche mit all ihren Mängeln, mit all ihrer Not, mit all ihren Vorläufigkeiten, mit all dem, was anders sein könnte an ihr, Gott zur Menschheit steht."6
Gott steht zur Menschheit! Wir sind eingeladen, Botschafter dieser Lebensoption zu sein.
1 Hirtenwort von Erzbischof Stefan Heße zum Ansgarfest 2023
2 Ebd.
3 Joseph Ratzinger/Benedikt XVI, "Berührt vom Unsichtbaren", 203
4 Ebd., 160
5 Karl Rahner "Das große Kirchenjahr", Freiburg im Breisgau 1987/ Leipzig 1990, S. 271
6 Aus Klaus Hemmerle "Gottes Zeit - unsere Zeit", München 1995, S. 166 - ursprünglich aus "Im Konkurrenzkampf der Weltanschauungen", 38 f