Sozialstation mit Heimvorteil
Tanja Bickenbach und Chris Roszewski sind bei jedem Wetter für ihre Kunden da.
Es hat ordentlich geschneit an diesem Wintermorgen in Kiel. Die Straßen sind glatt. "Sobald mal eine Schneeflocke fällt, können die Kieler nicht mehr fahren", stellt Chris Roszeweski kopfschüttelnd fest. Der stellvertretende Pflegedienstleiter ist kurz nach sieben Uhr unterwegs zu seiner ersten Kundin. Er zeigt sich unbeeindruckt von den schwierigen Straßenverhältnissen. Das ist auch gut so - denn die pflegebedürftigen Senioren sind auf die Unterstützung der Sozialstation angewiesen.
Der Weg führt heute nach Heikendorf, einem ehemaligen Fischerdorf vor den Toren der Landeshauptstadt. Für Chris ist es ein "Heimspiel", denn er stammt aus dem Ort. Das Ehepaar Goldbach, das er besucht, wohnt hier seit über 20 Jahren in einem ruhigen Wohnviertel in Wassernähe. "Die Dame ist seit Dezember Kundin bei uns, nach einem Aufenthalt im Krankenhaus", berichtet Chris Roszewski. Frau Goldbach benötigt Hilfe bei der Körperpflege und beim Anziehen, ist ansonsten aber noch mobil. So wie ihr Ehemann, der noch Auto fährt. Die gemeinsame Wohnung ist liebevoll eingerichtet, in den Bücherregalen stehen Literatur-Klassiker. Mit ihrem Pfleger unterhält sich die Seniorin über die Nachbarn und über Veränderungen im Wohnviertel: "Früher hat mein Kinderarzt hier um die Ecke gewohnt", erzählt Chris. "Oh, der wohnt da immer noch", weiß seine Kundin. "Das ist hier eine stabile Nachbarschaft. Kaum jemand zieht von hier weg." Mit Hilfe der Sozialstation werden auch die Goldbachs weiterhin in ihrem gemütlichen Zuhause bleiben können.
Die nächste Kundin wohnt nur wenige Minuten entfernt, aber die Wohnverhältnisse sind andere: Edith Schrader (Name geändert) lebt allein in einer beengten Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. "Ihr Enkel war ein Schulfreund von mir", erzählt Chris, als er die Tür aufschließt. In der Wohnung wird er bereits sehnlichst erwartet. Seine Kundin sitzt im Schlafanzug am Küchentisch. "Ich bin schon seit drei Uhr auf", klagt sie. Atemnot und Kreislaufprobleme rauben ihr den Schlaf. Chris hilft ihr beim Anziehen. Bei ihr wie auch bei allen anderen Pflegebedürftigen achtet er darauf, die jeweils eigenen Fähigkeiten einzubeziehen: "Ich gucke immer, was die Leute noch selbst können, und helfe ihnen dabei, Muskeln und Gelenke zu bewegen. Ich arbeite mit den Menschen so, dass sie sich wohlfühlen." Danach richtet er Edith Schraders Tabletten für eine Woche. Dabei ist er hochkonzentriert, denn seine Kundin muss eine große Menge verschiedener Medikamente einnehmen. "Holst du mir noch mein Telefon? Das liegt nebenan", bittet die Seniorin, bevor Chris wieder losmuss. Den Rest des Tages wird die alte Dame allein in ihrer Wohnung verbringen. Deswegen ist es besonders wichtig, neben der eigentlichen Pflege auch ein paar persönliche Worte zu wechseln. Bei der Sozialstation der Caritas ist das möglich und gewollt. Chris Roszewski hat in den vergangenen Jahren schon andere Erfahrungen gemacht: "Ich war bei einem großen Pflegedienst. Das war Fließband-Arbeit, da war alles durchgetaktet." Und bei einer Zeitarbeitsfirma erlebte er, dass er immer auf Abruf bereitstand - aber Geld gab es nur, wenn er wirklich "gebucht" wurde.
Noch freie Kapazitäten
Chris fährt zurück zur Sozialstation am Ostring. Es wäre an diesem Morgen noch Zeit für weitere Patienten gewesen, aber der Kundenstamm ist noch im Aufbau. Der Vorteil dabei: "Wir sind flexibel und haben freie Kapazitäten, dadurch können wir spontan neue Aufträge annehmen." Zurzeit betreut das dreiköpfige Team 24 Patientinnen und Patienten. "Damit sind wir bei weitem nicht ausgelastet", erklärt Pflegedienstleiterin Tanja Bickenbach. Die Mitarbeitenden rühren deshalb sehr engagiert die Werbetrommel - von der Flyer-Verteilung in den örtlichen Arztpraxen und Apotheken über Zeitungsberichte bis zur Nutzung einer Online-Plattform, auf der die Kliniken abfragen, wer ihre Patienten nach der Entlassung versorgen kann. Zugute kommt der Sozialstation, dass Tanja Bickenbach durch ihre langjährige Arbeit in der Pflege vor Ort bekannt und extrem gut vernetzt ist. Auch die "Marke" Caritas hilft: "Wir hatten schon Anfragen von Angehörigen aus Köln und Hamburg, die uns ausgesucht haben, weil sie der Caritas vertrauen", so die Pflegedienstleiterin.
Ein eingespieltes Team
Vertrauen ist auch eine wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit im Team. Tanja Bickenbach und Chris Roszewski kennen sich schon seit der Jugendzeit in Heikendorf. Später war sie seine Ausbilderin: "Sie hat mich überzeugt, die Ausbildung zur Pflegefachkraft zu machen", erinnert sich Chris. Danach begegneten die beiden sich immer wieder bei verschiedenen Arbeitgebern in der Pflege. "Bei ihm weiß ich, was ich habe. Er ist der kritikfähigste Mensch, den ich kenne. Er ist nicht beleidigt, wenn ich ihm sage: ‚Das war Mist, mach das anders‘."
So eingespielt das Duo auch ist - für den Aufbau der Sozialstation muss das Team wachsen. Die Suche nach geeignetem Personal gestaltet sich leider schwierig. "Wir haben acht Wochen gesucht, bis wir unseren Kollegen Atilla Ertugrul gefunden haben. Er war der Einzige, der fachlich qualifiziert war und dann auch beim Bewerbungsgespräch auftauchte", berichtet Tanja Bickenbach. Atilla ist froh, dass er die Aufbauphase der Sozialstation mitgestalten kann: "Man hat vieles selbst in der Hand, das motiviert mich." Anders als der Rest des Teams fährt er nicht mit dem Auto zu seinen Kunden, sondern schwingt sich auf sein Dienst-E-Bike. Er übernimmt die Patienten, die im Stadtteil Gaarden leben. "Da ist er mit dem Rad schneller, als wenn er noch lange einen Parkplatz suchen muss. Und es ist deutlich günstiger", weiß seine Chefin Tanja Bickenbach. Für Regentage hat sie ihrem Mitarbeiter eine wetterfeste Montur besorgt. Im April bekommt das Trio weitere Verstärkung durch eine Pflegehelferin, die vor allem die hauswirtschaftlichen Dienstleistungen abdecken wird. Im Moment erledigen die Pflegefachkräfte diese Aufgaben noch mit, im Anschluss an die pflegerische Hilfe.
Bei der Sozialstation sind übrigens nicht nur Seniorinnen und Senioren gut aufgehoben - auch die Jüngsten fühlen sich hier wohl: "Mein kleiner Sohn besucht mich gerne mal bei der Arbeit", erzählt der dreifache Papa Chris Roszewski. Familie und Beruf lassen sich hier nach seiner Erfahrung bestens vereinbaren.