Geben und annehmen
Im Juli war es wieder so weit: rund 40 Seniorinnen und Senioren aus Lübeck machten sich auf den Weg ins Ferienzentrum Theodor-Schwartz-Haus im idyllisch gelegenen Brodten. Zwei Wochen lang konnten sie sich tagsüber im historischen Reetdachhaus und dem baumbestandenen Garten verwöhnen lassen - von Ehrenamtlichen, die selbst schon alle im Ruhestand sind. Die Älteste im Team ist über 80, die jüngsten Teilnehmer kaum 70 Jahre alt. Und viele Gäste sind oder waren selbst auch ehrenamtlich engagiert. Diese Gemeinsamkeiten machen die besondere Atmosphäre aus: "Man kennt sich schon lange und alle freuen sich auf das Wiedersehen", beschreibt es Walburga Finke, die das Betreuungsteam leitet. Ihr wichtigstes Anliegen ist, dass die Gäste sich wohlfühlen, auch wenn sie dafür lange Arbeitstage in Kauf nehmen muss: "Ich stehe um 6 Uhr auf und bin erst um 18 Uhr zuhause." Ihre Freundin Renate von Zonneveld bestätigt: "Man merkt abends schon, was man getan hat." Sie ist seit drei Jahren dabei, seit sie im Ruhestand ist. "Ich hatte mir schon überlegt, dass ich im Rentenalter was Ehrenamtliches machen möchte, um den Alltag zu füllen. Aber nichts, was mich zu sehr einschränkt, denn ich wollte auch noch mit meinem Mann verreisen können." Dass sie beim "Reisen ohne Koffer" nur einmal im Einsatz ist, passt sehr gut zu ihrer Lebensplanung. "Außerdem sind die Gäste hier so nett, dass es einem leichtfällt. Ich freue mich immer schon lange vorher darauf." Die Dritte im Team ist Elsa Katzner. Die 81-Jährige erinnert sich noch an die früheren Freizeiten auf dem Priwall, bevor das Angebot 2014 nach Brodten umzog. Als Ehrenamtlerin ist sie seit 20 Jahren bei der Caritas aktiv. Sie hilft auch im "CariTreff" in Lübeck mit. Ans Aufhören denkt die Rentnerin noch nicht: "So lange es geht, mache ich es weiter!"
In Brodten beginnt jeder Tag für die drei Freundinnen mit den Frühstücksvorbereitungen: "Wir decken den Tisch und schmieren Brötchen für die Gäste, nach Wunsch mit Marmelade, Wurst oder Käse", berichtet Walburga Finke. Weil das Auge mitisst, legt das Ehrenamts-Team großen Wert auf eine liebevolle Dekoration - angefangen bei den Tischkärtchen, die sie jedes Jahr mit anderen Motiven selbst basteln, bis zu den Gürkchen auf der Salami. Wenn die Gäste dann eingetroffen sind, bedient das Team sie am Platz. Mittags kümmert sich das Theodor-Schwartz-Haus um die Verpflegung, dort wird frisch gekocht. Kaffee und Kuchen gibt es dann wieder im historischen Reetdachhaus, serviert vom Helfer-Team. Das gemeinsame Essen und vor allem das Gefühl, sich verwöhnen zu lassen, bedeuten den Teilnehmern viel - und die Ehrenamtlichen sind dazu gerne bereit, denn: "Unsere Gäste haben alle ein Leben lang gearbeitet, dann können sie sich hier auch mal bedienen lassen", so Walburga Finke.
Zwischen den Mahlzeiten bleibt aber noch viel Zeit für Aktivität oder Erholung. Einige Senioren gehen spazieren: "Es sind ganz fitte über 80-Jährige dabei, die gehen zu Fuß bis nach Niendorf", erzählt Walburga Finke. Teilnehmerin Helga Lampertz, die schon seit 2011 bei der Freizeit dabei ist, nimmt beim Spaziergang mit ihrer Nachbarin eine sehbehinderte Dame mit. "Da mein verstorbener Mann fast blind war, kenne ich das. Ich erkläre ihr dann zum Beispiel, welche Blume da gerade duftet." Sie erinnert sich daran, wie dankbar sie früher war, dass bei der Caritas-Freizeit "mal jemand anders den Rollstuhl meines Mannes schob". Die Rentnerin fühlt sich jedoch wohler, "wenn ich nicht nur annehmen, sondern auch was geben kann". Dabei hat Helga Lampertz ihr Leben lang schon sehr viel gegeben: Sie hat unter anderem zwanzig Jahre lang die Figuren im Märchenwald des Lübecker Weihnachtsmarktes eingekleidet. Nun bietet sie noch eine Handarbeitsgruppe in der Seniorenbegegnungsstätte "Caritreff" an. Langeweile kennt Helga Lampertz nicht. Sie organisiert mehrmals im Jahr Kurzurlaube mit einer kleinen Gruppe von Frauen. "Das müssen wir uns im Alter gönnen." Dabei gebe es einen wesentlichen Unterschied zum "Reisen ohne Koffer": die Gemeinschaft. "Außerdem: so freundlich betreut und nett bedient wird man nur hier. Das kann man nicht vergleichen mit einem normalen Urlaub."
Von Seiten der Caritas werden den Gästen verschiedene Angebote für Körper und Geist gemacht, wie zum Beispiel Spiele, Sitzgymnastik, Gedächtnistraining sowie eine Handyschulung. Ein besonderes Geschenk sind in diesem Jahr die Touren mit der Fahrradrikscha, die das Projekt "Radeln ohne Alter" anbietet. Die Gäste können sich ganz entspannt ans Meer, ins benachbarte Niendorf oder nach Travemünde chauffieren lassen. Wer es ruhiger mag, findet auf dem Gelände viele Rückzugsmöglichkeiten. Viele Gäste haben dabei ihre Lieblingsplätze. So auch Traute Lorenz: Die "Frischluftfanatikerin", wie sie sich selbst nennt, legt sich am liebsten auf eine Gartenliege unterm Apfelbaum und genießt die Ruhe, denn zuhause hat sie in Haus und Garten immer viel zu tun. Sie reist seit 2016 jeden Sommer nach Brodten. "Ich hatte schon vorher vom Reisen ohne Koffer gehört, dachte aber: das ist für Leute, die es nötiger brauchen." Mit ihrem verstorbenen Mann war Traute Lorenz an vielen Stellen ehrenamtlich aktiv. Nach seinem Tod vor über 20 Jahren "kam noch mehr dazu". Viele Jahre lang leitete sie die "Hobbykreise St. Annen" in Lübeck. Sie fühlt sich bei der Caritas-Freizeit gut aufgehoben: "Alle sind so lieb und nett zu mir!"
Der Tag endet mit dem gemeinsamen Singen bekannter Lieder. "Niemand muss mitsingen, manche hören einfach gerne zu", erzählt Walburga Finke. Auf dem Heimweg sind die Teilnehmer dann immer noch bestens betreut: von Heidi und Walter Eisner. Das Ehepaar gehört ebenfalls zum Ehrenamts-Team und sorgt dafür, dass die Gäste sicher nach Brodten kommen - und auch wieder nach Hause. Die beiden helfen beim Ein- und Aussteigen und betreuen die Senioren im Bus. Wie kamen sie zu dieser Aufgabe? "Als mein Mann in Rente ging, war mir wichtig, dass er sich ein Ehrenamt sucht. Sein Vater konnte sich als Rentner nicht beschäftigen, so einen wollte ich nicht zuhause sitzen haben", erinnert sich Heidi Eisner. Ihr Mann packte also im Caritreff an der Parade mit an, dann übernahm er beim Besuchsdienst "Lichtblicke" die Begleitung einer Rollstuhlfahrerin. Als Heidi Eisner auch in Rente ging, stieg sie ins Ehrenamt bei der Caritas mit ein. Und sie fanden den Weg zum "Reisen ohne Koffer": "Wir übernehmen hier zusammen die Gästebetreuung, damit nicht die ganze Woche einer allein zuhause sitzt." Beide sind begeistert von dem netten Team. Für Walter Eisner spielt bei seinem Ehrenamt auch die christliche Motivation eine Rolle: "Für mich bedeutet Glaube nicht nur, in den Gottesdienst zu gehen, sondern auch etwas für andere zu tun. Die Senioren hier sind für mich meine Nächsten."