Fehlen uns die richtigen Bilder?
I
An einem Sonntag gab es zum Ende des Kirchenjahres einen interessanten Radiobeitrag. In dem Podcast ging es um Sterben und Tod. Die Autoren bemühten sich redlich um Ausgewogenheit, denn es kamen sowohl religiöse Stimmen zu Wort als auch eher kirchenkritische. Und obwohl man Bezug nahm auf Aussagen von Theologen wie Paul M. Zulehner oder Karl Barth, blieb am Schluss doch der Eindruck übrig, der zudem auch explizit geäußert wurde, dass es der Kirche heute an der geeigneten Sprache fehle, um die Menschen zu erreichen. Insbesondere fehlten in der kirchlichen Sprache Bilder, die dem Sterben, dem Tod und der Vergänglichkeit angemessen sind. Fegefeuer, Himmel und Hölle sagten den Menschen heute nichts mehr. An deren Stelle seien kaum neue, verständliche Bilder getreten bzw. oft eine abstrakte Sprache. Meistens jedoch existiere heute eine Leerstelle in der kirchlichen Verkündigung, wo früher Begriffe und Bilder wie Seele, Engel, Unsterblichkeit dem Menschen eine Wirklichkeit vermittelten, die Raum und Zeit transzendiert. Es wurde auch dafür plädiert, wieder stärker - ganz im Sinne Karl Barths - auf die Bibel und ihren Bilderreichtum Bezug zu nehmen.
An diesen Beobachtungen ist sehr viel Wahres, und es ist erfreulich, dass die Autoren ankündigen, an dieser Thematik weiter dranzubleiben. Die Abkehr von der "anthropologischen Vermittlung" scheint mir jedoch sehr problematisch zu sein, denn sie war und ist ja gerade hilfreich bei der Vermittlung biblischer Bilder. So verständlich der Wunsch nach biblischen Bildern auch ist, mit einem "Bibel-Positivismus" ist niemandem wirklich geholfen. Ganz im Gegenteil, er fördert das Unverständnis ebenso wie das Unbehagen an dem, was die Kirche verkündet und vermittelt. In gewissem Sinne wird man sagen können, dass der "Barth-Bultmann-Streit" in eine neue Runde geht…
Zudem scheint die Analyse lückenhaft zu sein, denn ein flüchtiger Blick in das Werk Eugen Drewermanns kommt zu einem gänzlich anderen Fazit. Ich denke nur an seine beiden voluminösen Bände: "Grenzgänger" und "Liebe, Leid und Tod", die eigentlich nur dieses eine Thema zum Inhalt haben. Den gesamten Durchgang durch die griechische Mythologie mit all ihren wunderbaren Bildern kann man dort finden - freilich immer mit dem ausdrücklichen Bezug zum Christusereignis. Nur eine kleine "Kostprobe" sei hier angeführt, die auch etwas verdeutlicht von der Argumentationskraft Eugen Drewermanns:
"…ist nicht alle Religion nur der Überbau leeren Wahns? …dagegen gefragt: ‚Entstammt nicht gerade der Wille zur Wahrheit dem gleichen Antrieb wie der Suche zum Unbedingten und Absoluten, und ist dann womöglich nicht alles Erkennen auch und gerade in seinen Verneinungen ein Aufstieg zu Gott, und bringt nicht jeder überwundene Irrtum nur eine verborgene Wahrheit noch reiner zum Leuchten? Kann man etwas negieren, ohne in ihm das eigentlich Gemeinte freizusetzen in einer tieferen Bejahung?... An dieser Stelle ist der Hinweis des Dionysos entscheidend: Er ist mitnichten nur die Sinngestalt von Sinnenlust…Die Macht der Liebe, die die Paare aneinander bindet, lehrt sie zugleich die Einmaligkeit und Unvertauschbarkeit … es ist allein die Liebe, die das Sein des anderen als ewig glauben lässt. Auch dieser Einblick in die Tiefe unseres Daseins ist Dionysos: die Liebe als erfahrbarer Garant der Ewigkeit, - wir werden niemals voneinander lassen…In diesem Leben mögen Menschen auseinandergehen, - in jenem anderen wird es die Bitterkeit von Trennung und Enttäuschung nicht mehr geben, dort wird die innere Gestalt der Schönheit, die wir liebend im anderen schon immer ahnten, sich freisetzen zu einem Sein, das nicht vergeht…Ist dies ‚Dionysos‘, taten die frühen Christen gut daran, das Abendmahl ihres Erlösers, die Verheißung der Vergebung aller Schuld sowie der Auferstehung in der Unvergänglichkeit der Liebe, zu begehen in dem Bild des Weins, in dem die Gottheit stirbt und lebt und uns hineinnimmt in das Glück einer Vollendung ohne Ende. Das Abschiedswort des Todes selber ist: 'Auf Wiedersehen‘" (Eugen Drewermann "Grenzgänger", S. 441-445)
Mir scheint, gerade am Anfang dieses Zitates hat Drewermann sehr von Karl Rahner gelernt, denn wir sehen hier das Retorsionsargument "in Reinkultur".
"…ist nicht alle Religion nur der Überbau leeren Wahns? …dagegen gefragt: ‚Entstammt nicht gerade der Wille zur Wahrheit dem gleichen Antrieb wie der Suche zum Unbedingten und Absoluten, und ist dann womöglich nicht alles Erkennen auch und gerade in seinen Verneinungen ein Aufstieg zu Gott, und bringt nicht jeder überwundene Irrtum nur eine verborgene Wahrheit noch reiner zum Leuchten? Kann man etwas negieren, ohne in ihm das eigentlich Gemeinte freizusetzen in einer tieferen Bejahung?‘"
Drewermann weist scharfsinnig nach, wie vernünftig es ist zu glauben. Das ist nur konsequent, weil es ja keinen wirklichen Widerspruch zwischen Vernunft und Glaube geben kann, wenn es nur eine Wahrheit gibt und wir es immer nur mit Beschreibungen, Erkenntnissen und Andeutungen von "Wahrheit" zu tun haben, die allesamt teilhaben - sowohl an der Wahrheit als auch an der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis und menschlicher Aussage. (1) Wenn das Wort Apologetik nicht so negativ besetzt wäre, könnte man an dieser Stelle von einer Glaubensrechenschaft "in nuce" sprechen.
II.
Und damit komme ich zu jenem Glaubenszeugen, der sich Zeit seines Lebens, besonders in seinen mehr geistlichen Schriften wie "Worte ins Schweigen", "Von der Not und dem Segen des Gebetes", "Das kleine Kirchenjahr", "Alltägliche Dinge" wie kaum ein zweiter um Glaubensvermittlung bemüht hat. Ich spreche von Karl Rahner. Gerade in seinem Bändchen "Alltägliche Dinge" vermittelt Rahner in wunderbaren, sehr eingängigen Bildern etwas vom alltäglichen Leben im Glauben und vom alltäglichen Glauben im Leben.
"In der Tat: der alltägliche Schlaf ist etwas sehr Geheimnisvolles. Der Mensch, der Person und Freiheit ist, sich selbst besitzt und steuert, lässt sich im Schlaf los, gibt sich aus seiner Hand, vertraut sich den Mächten seines Daseins an, die er nicht geschaffen hat und die er nicht überschaut. Schlaf ist ein Akt des Vertrauens auf die innere Richtigkeit, Sicherheit und Güte der Welt des Menschen, ein Akt der Arglosigkeit und des Einverständnisses mit dem Unverfügbaren. Wird der Schlaf so getan…dann ist ein solcher Akt des Einschlafens eigentlich verwandt mit der inneren Struktur des Gebetes, das ja auch ein sichloslassendes Anvertrauen der eigenen Wirklichkeit an die als Liebe angenommene Verfügung Gottes ist…Er ist dann friedlich und gelöst, eine Kommunikation mit den Gründen, in denen alle freie Personhaftigkeit des Menschen, alle wissende Planung des Lebens gründen und verwurzelt bleiben müssen, soll der Mensch heil bleiben oder heil werden." (2)
Überraschend und beglückt kann man an dieser Stelle feststellen, dass Drewermann bis ins Wörtliche hinein einen übereinstimmenden Text Jahre später formuliert hat:
"Ein Schlafender verdient Respekt. Am Tag mag er sich verhalten, wie er will; des Nachts im Schlafe ist er heimgekehrt in eine wohltuende Unschuld… das Schlafen selbst… lässt uns voll Vertrauen etwas ahnen von der Geschenkhaftigkeit des gesamten Daseins. Jenseits der Angst regt sich von innen ein Gefühl der Freude und Bejahung in Antwort auf das sichere Empfinden, von Grund auf selbst bejaht zu sein." (3)
Worum es im Leben eigentlich geht, das macht Rahner an alltäglichen Verrichtungen wie Gehen, Sitzen, Schlafen, Essen, Sehen oder Lachen deutlich. Seine kostbaren Versuche sind gleichzeitig der Aufweis, dass die Bilder des Glaubens mit uns als Menschen, mit dem Leben zu tun haben. Das kann auch gar nicht anders sein, weil christlicher Glaube eine "inkarnatorische Tendenz" (Miggelbrink), einen Drang zur "Verleiblichung" hat. Der Mensch ist in seinem Wesen "Geist in Welt". Darum hat echter Glaube immer mit Bildern aus dem Leben zu tun, ist er gewissermaßen "geerdet" und grenzt sich ab von elitärem "Sonderwissen" ebenso wie von jeder Form von Esoterik. Ein Blick Karl Rahners kann im Alltag, im alltäglichen Leben immer wieder Bilder entdecken, die eine Tiefendimension menschlichen Lebens "offenbaren", die jedes Können, jedes Machen übersteigt, die auf ein "Mehr" verweist, das uns entgegenkommt, weil es uns meint, weil es uns liebt. Es kann nur eine personale Wirklichkeit sein, die all unsere Person-Erfahrung transzendiert, die uns als Person anredet und meint, die uns über alle Bedingtheiten und Begrenztheiten im Dasein hält, die uns tröstet, rettet, heilt und die mit uns unverbrüchliche Gemeinschaft anstrebt:
"Wir sind nicht Pflanzen, die an eine ganz bestimmte vorgegebene Umwelt gebunden sind, wir suchen selbst unsere Umwelt auf, wir verändern sie, wir wählen und -gehen. Wir erleben uns im Wandeln als die sich selbst Wandelnden, als die Suchenden, die erst noch ankommen müssen. Wir erfahren, dass wir die Wanderer zu einem Ziel, aber nicht die ins bloß Leere Schweifenden sein wollen. Wir empfinden uns nochmals im Gang in das schwere Unvermeidliche als die Freien…Wir reden vom Gang der Ereignisse, vom guten Ausgang eines Unternehmens, vom Zugang zum Verständnis, von verlogenem Hintergehen eines Menschen, vom Geschehen als einem Vor-gang, vom Wechsel als einem Übergang, vom Ende als dem Untergang, wir sehen das Werden als einen Aufstieg, unser Leben als eine Pilgerschaft, die Geschichte als einen Fort-schritt; wir halten etwas Verständliches für ‚eingängig‘, einen Entschluss für einen ‚Schritt‘.. Zu den Weisen der großen Feier gehört die Prozession und der Umzug… Schon diese kleinen und wenigen Hinweise zeigen, wie sehr wir unser ganzes Leben immer wieder interpretieren am Leitfaden der ganz ursprünglichen, urtümlichen Erfahrung unseres alltäglichen Gehens. Wir gehen, und wir sagen durch dieses ganz physiologische Gehen allein schon, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, dass wir auf dem Weg sind, dass wir erst noch wirklich ankommen müssen, noch das Ziel suchen und wirklich Pilger sind, Wanderer zwischen zwei Welten, Menschen im Übergang, bewegt und sich bewegend, die auferlegte Bewegung steuernd und in der geplanten Bewegung erfahrend, dass man nicht immer dort ankommt, wohin der Gang geplant war. In dem schlichtesten Gehen, das der Gang des Wissenden und Freien ist, ist so das ganze Dasein des Menschen eigentlich schon da und vor sich selbst gebracht, das Dasein, dem der Glaube des Christen sein Ziel enthüllt, und das Ankommen dort verheißt…das Letzte und Eigentliche kommt uns entgegen, sucht uns, freilich nur, wenn wir gehen, wenn wir entgegengehen. Und wenn wir gefunden haben werden, weil wir gefunden wurden, werden wir erfahren, dass unser Entgegengehen selbst schon getragen war…von der Kraft der Bewegung, die auf uns zukommt, von der Bewegung Gottes zu uns." (4)
Karl Rahner setzte sich unentwegt dafür ein, dass der Glaube so gesagt, so vermittelt wird, dass er tatsächlich auch "ankommen" kann. Dabei war die kirchliche Tradition bei ihm immer präsent, ebenso die "Zeitgenossenschaft", d. h. die Fragen und Nöte, die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen. Sie setzte er immer wieder, in unzähligen Versuchen in Beziehung zu dem, was der Glaube sagt und verkündet. So war es ihm möglich, in z.T. ganz einfachen Worten die Menschen gleichsam mitzunehmen auf den Weg des Glaubens, ohne dessen geistigen und geistlichen Reichtum preiszugeben. Im Gegenteil, in frappierend einfachen (nicht vereinfachten!) Formulierungen gelang es Karl Rahner, "Kurzformeln des Glaubens" zu entwickeln. Wer sich auf sie einlässt, kann auch heute noch Bilder des Glaubens entdecken, die "ihn unbedingt angehen" (Paul Tillich) Darum sei diese kleine Überlegung mit einem Wort Karl Rahners beschlossen, das die existentielle Tiefe eines ganzen Menschenlebens auszuloten vermag:
"Wir sind unterwegs, Wanderer zwischen zwei Welten. Weil wir noch auf Erden wandeln, lasst uns bitten um das, was wir auf dieser Erde brauchen. Da wir aber Pilger der Ewigkeit auf dieser Erde sind, lasst uns nicht vergessen, dass wir nicht so erhört werden wollen, als ob wir hier eine bleibende Stätte hätten…" (5)
1 Wer diese Aussage in Frage stellt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob und wie ein Dialog überhaupt (noch) möglich sein kann. Außerdem, wenn es keine Teilhabe an der Wahrheit gibt, wenn es gar keine Wahrheit gibt, dann ist auch die Bestreitung dieser Aussage ein sinnloser Satz. Ja, genaugenommen ist dann jeder Satz sinnlos, weil unmöglich, weil jede wahre Aussage an der Wahrheit teilhat und jede falsche Aussage noch einmal die Existenz von Wahrheit voraussetzt und bezeugt.
2 Karl Rahner/ Andreas Felger "Von der Gnade des Alltags", Freiburg-Basel-Wien 2006, S. 53 ff - ursprünglich: Alltägliche Dinge, 24 f
3 Eugen Drewermann "An der Quelle des Lebens", Ostfildern 2020, S. 60 - ursprünglich: Wer bin ich? 209
4 Karl Rahner "Alltägliche Dinge", Einsiedeln 1968 (7. Auflage), S. 12 ff
5 Karl Rahner "Beten mit Karl Rahner", Freiburg, 2004, Band 1 "Von der Not und dem Segen des Gebetes", S.129