Hörer des Wortes
I.
Dieser "Befund" gibt uns Gelegenheit, uns einer grundsätzlichen Infragestellung der Theologie Karl Rahners zuzuwenden. Eugen Drewermann trägt sie in dieser Form vor:
"Die Grenze der RAHNERschen Theologie wird immer wieder dort sichtbar, wo das ‚Unten‘ seiner Gedanken endet: an der Ebene von Gefühlen und Affekten, an den Bereichen des Unbewussten… die Intentionen und Impulse RAHNERS werden allererst wirksam, nachdem die neurotisierenden Aufspaltungen zwischen Bewusstsein und Unbewusstem… überwunden sind." (2)
Bei Ralf Miggelbrink liest es sich zunächst ähnlich:
"Das nicht subjekthafte Leiden, der physische Schmerz, verweigerte Subjektwerdung, die Verweigerung der elementarsten Bedürfnisse, deren Erfüllung für ein subjekthaftes Leben unabdingbar ist, das sinnlose Leiden, das Menschen durch Naturkatastrophen, Unfälle oder gar durch die Dämonie der eigenen Gattung widerfährt, das Leiden, an dem niemand wächst und reift, sondern das ‚dumm oder böse macht‘ (XIV, 460), das kein Subjekt vollendet, sondern das Menschen physisch und psychisch zerstört, ihrer Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit beraubt, kommt in Rahners Theologie kaum vor." (3)
Doch anders als Drewermann und fast wie ein Widerspruch zu diesem, auf den ersten Blick negativen "Befund", nimmt sich jene Aussage des Autors aus, die auf derselben Seite zu finden ist:
"Dennoch ist Rahners Beitrag zur seit Leibnitz so genannten Theodizee-Frage sehr bedeutsam…" (4)
Besonders auffallend ist der Kontrast beider unterschiedlicher Interpretationen, wenn man den Satz weiterliest:
"…und wirft ein erhellendes Licht auf die Grundhaltung des theologischen Denkers Rahner." (5)
Denn nur eine Seite weiter findet man folgende, in diesem Kontext durchaus überraschende Wertung:
"Rahner leistet zur Frage nach dem zerstörerischen Leiden einen streng theistisch bleibenden Beitrag, der alle übrigen theistischen Antwortversuche bei weitem überbietet." (6)
Wir kommen angesichts dieser sich scheinbar widersprechenden Aspekte in ein Dilemma: Einerseits die Feststellung, dass "der physische Schmerz, verweigerte Subjektwerdung…in Rahners Theologie kaum vorkommt", andererseits die Aussage, dass "Rahners Beitrag" zur Frage nach dem "guten" Gott angesichts der Gräuel in der Welt doch "sehr bedeutsam" sei. Ja, es wird sogar darauf verwiesen, dass dieser "Befund" Erhellendes zutage fördert in Bezug "auf die Grundhaltung des theologischen Denkers Rahner."
Hier kann man leicht in Verlegenheit kommen und ein Zyniker hätte auf den ersten Blick leichtes Spiel, wenn er lapidar feststellen würde: Also zahlt sich Ignoranz gegenüber "Leiden, an dem niemand wächst und reift, sondern das ‚dumm oder böse macht‘", aus. Ja, noch mehr, diese Ignoranz scheint ein Charakteristikum der "Grundhaltung" der Theologie Karl Rahners zu sein.
II.
Eine Antwort darauf müsste zunächst all das mit berücksichtigen, was Rahner in Bezug auf Konkupiszenz und auf "Existentielle Ungesichertheit und Kontingenzerfahrung als Grund menschlicher Daseinsangst" (7) bedacht hat. Uns scheint in diesem Zusammenhang deutlich zu sein, dass Drewermann und andere die mystischen Ursprünge rahnerscher Theologie ignorieren. Das hat erhebliche Folgen, nicht nur für ein richtiges Verständnis der rahnerschen Theologie, denn in Konsequenz dessen kann man leicht zur Auffassung gelangen, alle menschlichen Grenzen und Engen überspringen zu können, wenn - ja, wenn jemand (oder die Gesellschaft) psychisch und physisch "gesund" ist. Und diesem Interesse, der psychischen und physischen Gesundheit und Unversehrtheit, hat sich dann alles unterzuordnen. Sie ist das Ziel sämtlicher menschlichen Bemühungen, wie die vielfältigen Kulte um Gesundheit, Jugendlichkeit und Fitness eindrucksvoll belegen. Mit christlichem Heilsverständnis hat diese "Jugendliebe" (8) und dieser Gesundheitswahn - anders kann man viele Auswüchse in dieser Richtung oft kaum noch beschreiben - so gut wie nichts zu tun. (9)
Nun ist auch Karl Rahner durchaus dafür, dass alles getan wird, damit menschliches Leben gelingt, auch mit Hilfe psychologischer, soziologischer und anderer Sozialwissenschaften:
"Alle Psychotherapie kann sich mit allen psychischen Störungen beschäftigen, die sie erreichen kann. Sie darf sogar versuchen, solche Störungen… zu beseitigen, von denen sie vermuten muss, dass deren eigentliche Ursache in einem Bereich liegt, für den sie eigentlich nicht zuständig ist. Umgekehrt soll die theologische Seelsorge nicht unmittelbar und eigentlich sich mit psychotherapeutisch erfassbaren und beschreibbaren Phänomenen heilend beschäftigen wollen, auch wenn sie hoffen kann, dass sich manchmal der Erfolg ihrer eigentlichen Aufgabe psychotherapeutisch günstig auswirkt. Die Seelsorge, insofern sie… auf dieses heilschaffende Urvertrauen zielt, ist in ihrem Wesen fundamental von psychotherapeutischer Heilkunst verschieden, auch wenn sie normale menschliche und somit auch psychotherapeutische Mittel einsetzen kann, wo solche nützlich sind."(10)
Der Mensch kann auf vielerlei Weisen und Methoden die Welt und sich selbst verändern und beeinflussen. Diese Bemühungen sind kein "Glasperlenspiel"; eine Übung, die man auch unterlassen könnte. Das Gegenteil ist der Fall, wenn der Mensch am Schöpfungshandeln Gottes Anteil haben will.
"Die Offenheit des Menschen für Gott ist kein neutrales Grundkonstitutiv seiner Natur, sondern seiner sittlichen Selbstbestimmung aufgegeben." (11)
Alle wichtigen und notwendigen Veränderungen und Verbesserungen, auch in Politik und Gesellschaft, können jedoch die Grunderfahrung kreatürlichen Seins des Menschen weder ganz verdecken noch verdrängen. Hier entfalten die mystischen Ursprünge der Theologie Karl Rahners ihre Wirkung in zweifacher Hinsicht: Als Korrektiv zu menschlicher Hybris und Selbstüberschätzung einerseits und zur Weltflucht in eine leidfreie Zone andererseits:
"Diese Einheit von praktischer und theoretischer Vernunft ist ein Zentralanliegen der Rahnerschen Erkenntnismetaphysik. Ihr mystischer Erfahrungsursprung ist die tatmystische Evidenz der inneren Verkehrtheit einer fuga saeculi, die im mystischen Aufstieg Welt und Endlichkeit meint überspringen zu können, um ohne das Leiden an der endlichen Praxis zu Gott aufzusteigen." (12)
Es geht beim "Weltauftrag des Christen" immer um den Einsatz der ganzen Person, wenn die Selbsterfahrung zur Gotteserfahrung führen soll.
"Die via negationis muss begangen werden, um zur Erfahrung Gottes zu führen."(13)
Weil alles psychotherapeutische Können nichts ändert am kreatürlichen Status des Menschen, ist der Einspruch des Glaubens nicht nur hilfreich, sondern not-wendig, wenn der Mensch sich nicht grundsätzlich verfehlen will:
"Das Ereignis der Offenbarung ist das Ende einer in sich ruhenden Harmonie der natürlichen Welt… Wo der Mensch sich deren Gerundetheit in sich selbst unter den Bedingungen seines Angerufenseins in Gnade und Offenbarung verschreibt, herrscht Verweigerung, Ungehorsam - Sünde… So in ihrer theologischen Tiefenstruktur verstanden, kann die fuga saeculi nicht mehr eine beliebige christliche Lebensform neben anderen sein… Die lichte Helle des Alltags wird erfahren als umgriffen von dem unergründlichen Dunkel, aus dem Gott spricht und das so zu Bewusstsein kommt." (14)
In einem frühen Aufsatz sagt Karl Rahner es so:
"In Jesus Christus hat der lebendige persönliche Gott den Menschen angeredet. Damit ist eine erschreckende Tatsache in das Leben des Menschen getreten, die jeden Versuch einer in sich geschlossenen, innerweltlichen Harmonie der menschlichen Existenz verunmöglicht…"(15)
III.
Rahners Theologie ist von seinen Ursprüngen her zu verstehen als Theologie aus der Gestimmtheit des Beters heraus. Diese, von Rahner selbst gewählte Formulierung (16), beschreibt ein betend-praktisches Sichbeziehen auf Gott.
"Die ‚Gestimmtheit des Beters‘ erreicht ihren eigentlichen Logos nicht in der begrifflichen Kommunikation über Gott, sondern in der preisenden Anbetung Gottes. Theologie will hinführen zu dieser theoretisch-praktischen Haltung des Gebetes und will selber Teil dieses heilshaften Grundvollzuges christlicher Existenz sein." (17)
Es ist diese theoretisch-praktische Grundhaltung in der Theologie Karl Rahners, die sich im Gebet einen gültigen Ausdruck verschafft. Dabei muss immer klar sein (und bleiben!), dass es bei Karl Rahner, schon aufgrund seiner ignatianischen Wurzeln und Prägung, vor allem nicht
"um ein weltbildhaftes Gottesbild (geht), sondern darum, dass Gott selber im Erkenntnishandeln gewollt und bejaht oder verworfen wird…. Diese Wahrheit der Rahnerschen Erkenntniskritik verlangt ihre praktische Realisation: Eine Übersetzung des Glaubens in theoretische Gewusstheit ist nicht möglich…, wobei der Erkenntnisbegriff bei Rahner vollkommen auf das menschliche Handeln hingedeutet wird." (18)
Auch in Bezug auf die alte Frage "Cur Deus homo?", also warum Gott Mensch wird, eröffnet Karl Rahners "Gestimmtheit des Beters" Zugänge, die in ihrer Bedeutung für die Pastoral heute von großer Bedeutung sind.
"Mit der Inkarnation ist jede Hoffnung auf einen deus ex machina, der am Ende das erlösende Wort spräche, alles sei ja nur ein Spiel gewesen, und nun sei es gut, von Gott zerstört worden: Die Deszendenz Gottes offenbart ihn als den Anbieter eines Heilsweges, der am Kreuz und dem absoluten Ernst zur Welt und zur je eigenen Biografie nicht vorbeiführt. Gegen Erlösungsträumereien ätherisch leichter Gottmenschlichkeit offenbart Gott seine Erlösung als nur im tätigen Ernst gegenüber Welt sich ereignende."(19)
IV.
Wer Gebet bei Rahner richtig verstehen will, muss die Einheit von Denken und Tun und die mystischen Ursprünge seiner Theologie immer im Blick behalten. Um das Vorgetragene zu konkretisieren und zu verifizieren, kommen wir abschließend noch einmal zur Ausgangsfrage zurück. Sie besteht ja in der Aufrechterhaltung der Aussage,
"die Intentionen und Impulse RAHNERS werden allererst wirksam, nachdem die neurotisierenden Aufspaltungen zwischen Bewusstsein und Unbewusstem… überwunden sind." (20)
Wir können zunächst sagen: Nach einem Durchgang durch alle anthropologischen Wissenschaften fragt Rahner schlussendlich:
"... Weiß der Mensch von heute aus sich wirklich mehr von sich, als dass er eine Frage ist..., die nur weiß, dass die Last der Fragwürdigkeit bitterer ist, als dass der Mensch sie auf die Dauer erträgt?" (21)
Nach diesem "Fazit" gilt es also, den Begriff "Leiden" exakt zu fassen und ihn nicht zu verengen auf psychische oder physische Einschränkungen. Denn selbst, wenn alle Optimierungsvarianten umgesetzt sind - und zwar in jeglicher Hinsicht -, kann der Mensch seinen Endlichkeitsstatus nicht aufheben.
"Leiden ist für Rahner primär ‚Leiden an Gott‘: der sich im subjekthaft lebenden Menschen ereignende Schmerz des Zerbrechens der eigenen Endlichkeit vor dem Begnadungswillen Gottes… Es ist sinnvoll, weil es gedeutet werden kann als die die Selbsttranszendenz des Menschen begleitenden ‚Geburtswehen‘ eines neuen Menschen." (22)
Hierbei geht es um eine Haltung, die ein Leben lang eingeübt werden muss. Auch hier setzen sich die mystischen Ursprünge rahnerschen Denkens und die Spiritualität des Hl. Ignatius durch: Das ganze Leben als einzige Frage nach Gottes Willen immer und überall nicht nur zu verstehen, sondern auch zu versuchen, sie als Lebenswirklichkeit wirksame Gestalt annehmen zu lassen. Dazu gehört vor allem eine mystagogische Pastoral, die das Geheimnis des Menschen wahrt und gelten lässt, es vom Geheimnis Gottes her versteht und in das Geheimnis Gottes hineinführt.
Der Mensch ist und bleibt Geheimnis, weil er sich (und damit jeden Mit-Menschen) nur selber richtig verstehen kann, wenn er sich als mit dem unendlichen und unbegreiflichen göttlichen Geheimnis "unerbittlich" und "unentrinnbar" konfrontiert erfährt und interpretiert. Man lese nur im ersten Kapitel seines Buches "Von der Not und dem Segen des Gebetes" nach, was Karl Rahner über die Personmitte, das Herz des Menschen, schreibt:
"Das ist eigentlich unser Herz: das Herz der Toren, das Herz der Bitteren, das Herz der Verzweifelten. Wir können diesem Gefängnis unseres Herzens nicht entfliehen. Der Mensch kann zwar - wörtlich oder bildlich - auf Reisen gehen, er kann sich in die Arbeit stürzen, er kann sich dem Vergnügen weihen, er kann es mit dem Trost durch andere Menschen versuchen, er kann auf tausend Wegen und mit abertausend Mitteln sich betäuben, damit er jenes immer still, unerbittlich bohrende Bewusstsein übertäube, das Bewusstsein der Einsamkeit, der Ausweglosigkeit und der Nichtigkeit des Irdischen." (23)
Und dann folgt einer jener Sätze, die zudem etwas "verraten" von Rahners sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, wenn er des Menschen Situation kennzeichnet, der sich nicht als verdankte Existenz versteht:
"...was es eigentlich mit dem Menschen auf sich hat, mit dem Menschen, in dem der Geist nur das Licht zu sein scheint, um die Hoffnungslosigkeit der Lage zu beleuchten, so wie man im Keller ein Zündhölzchen entzündet, um festzustellen: hoffnungslos!" (24)
Rahner beschreibt eindrucksvoll, dass der Mensch überhaupt nicht wie ein Verzweifelter aussehen muss, wenn er zu sich kommt und spürt, wie wenig er aus eigener Kraft ausrichten kann, wie sehr er angewiesen ist auf Hilfe. Es gibt darum aber auch tausend Spielarten, sich und andere über die eigentliche, die wahre Situation zu täuschen, zu manipulieren:
"Die Menschen dieser chronischen Verzweiflung bleiben ganz beherrscht, sie bleiben ganz normal und alltäglich. Sie benehmen sich, wie alle vernünftigen Menschen sich benehmen. Sie tun ihre Pflicht, sie arbeiten, sie sind sehr anständig und sehr gewissenhaft, sie lieben und schließen Ehen, sie bezahlen Steuern und unterhalten sich mit Kunst und Wissenschaft... Alles soll nur den innersten, den tiefsten Punkt des Herzens zudecken, die Herzenswunde, an der man langsam verblutet, von der man aber anständigerweise nicht redet (ein anständiger und gebildeter Mensch hat doch nicht verzweifelt zu sein), soll nur den verschütteten Kerker unseres Herzens maskieren, indem der eigentliche Mensch hoffnungslos gefangen sitzt, der Mensch, der weiß, dass alles endlich, alles erbärmlich, alles unwichtig ist..." (25)
Der Seelsorger Rahner fragt immer dort noch weiter, wo viele andere aufhören zu fragen. Dieser Akt des Fragens, von Rahner selbst als "Akt der Frömmigkeit" (26) bezeichnet, stößt in Dimensionen vor, denen sich die Pastoral angesichts des skizzierten Befundes auch und gerade heute ganz neu zu stellen hat.
"Man sagt, es sei eigentlich die wahre Größe des Menschen, verzweifelt zu sein. Nur ein solcher Verzweifelter, der mit allem fertiggeworden und hinter alles gekommen sei und gemerkt habe, dass hinter allem - nichts sei, sei der eigentliche, der wahre Mensch...; die Größe des Menschen sei das Wissen um sein Elend". (27)
Rahner nimmt diesen "Befund" ganz ernst, in dem er diese Aussage gelten lässt und gleichzeitig fragt, was denn gewissermaßen "dahinter" ist:
"Es kann sein, dass solche illusionslose Erkenntnis der Anfang des Heiles ist... Dann nämlich, wenn sie wirklich so verzweifelt sind, dass sie - nicht ihre Verzweiflung zu ihrem perversen Stolz machen und sich nicht einbilden (mehr ist es auch dann nicht), aus eigener Kraft die verzweifelte Leere zu sein, sondern lieber aus der Gnade eines anderen (des einen anderen) die geschenkte Fülle zu sein bereit sind."(28)
Der Seelsorger Rahner ist Realist, der um den Menschen weiß und sich keinen Illusionen hingibt.
" Aber... oft ist diese Deutung von der Nichtigkeit des Menschen, die als erkannte und ertragene seine Größe ausmache, nur eine schuldhafte Maskierung der Verzweiflung..." (29)
Der "späte" Rahner wird es so sagen:
"Der Christ ist der wahre und... radikale Skeptiker... Wenn er an die Unbegreiflichkeit Gottes glaubt..., ist er davon überzeugt, dass keine Einzelwahrheit wirklich wahr ist außer in dem zu ihrem wahren Wesen notwendig gehörenden Vorgang, in dem sie sich selbst in die Frage aufhebt, die unbeantwortet bleibt, weil sie nach Gott und seiner Unbegreiflichkeit fragt." (30)
Rahners Glaube an den Sieg der unbegreiflichen Liebe Gottes, die jede Grenze überwindet, überwinden kann, kommt gerade auf dem Hintergrund seiner realistischen Sicht des Menschen umso deutlicher zum Leuchten:
"Wie könntest du, was in dir ist, ausdrücken mit dem bitteren Wort: ich kann nicht, ohne zugleich einzugestehen, dass es gut wäre, ersehnt und verpflichtend ist, zu können?" Und "solange du dich nach dem Können sehnst und nicht verliebt bist in dein Unvermögen (bist du dessen sicher, mein armer Bruder?), ist es die Ohnmacht des Herrn, die dich erlösen wird." (31)
Rahners Überlegungen zur "Gestimmtheit des Beters" nehmen das Leben in all seinen Äußerungen und Beziehungen ernst. Es steht insgesamt unter dem Gnadenangebot Gottes. Nur so gelingt es, "Glaube in Geschichte und Gesellschaft" (32) ernst zu nehmen und dem Versuch zu wehren
"die personale Sphäre als Raum der Offenbarung von der Sphäre der wissenschaftlichen, technischen und politischen Selbstrealisation des Menschen abzukoppeln." (33)
Wenn das Leben aus der "Gestimmtheit des Beters" immer unter dem Gnadenangebot Gottes steht, dann ist es auch immer die Gnade Christi. Und sie ist etwas ganz anderes als jener "abstrakte Idealismus"(34), den Eugen Drewermann Karl Rahner in seinem jüngsten Werk unterstellt. Rahners gesamte Theologie ist Gnadentheologie. Sie kommt von der Erfahrung Jesu Christi in dem Maße her, wie sie zu ihm und mit ihm hineinführt in das Geheimnis des absolut unbegreiflich liebenden Geheimnisses, das wir ‚GOTT‘ nennen.
"Erfahrung der Gnade Christi - damit scheint ein oder gar das Grundthema der Theologie Karl Rahners bezeichnet zu sein, das in den verschiedensten Fragestellungen bis hin zum Problem eines "anonymen Christentums" zur Entfaltung drängt. In einem Text, den Rahner selbst mehrfach wiederaufgenommen hat und der somit besonders charakteristisch für sein theologisches Denken und Bemühen sein dürfte, klingt es nochmals an: "Man sieht Geisterfahrung und Teilnahme am siegreichen Tod Jesu, an welchem das wirkliche Glücken unseres Todes allein, und zwar in einer Glaubensgemeinschaft erfahren wird, sind also identisch. Der Kelch des Heiligen Geistes ist identisch in diesem Leben mit dem Kelch Christi. Ihn aber trinkt nur der, der langsam ein wenig gelernt hat, in der Leere die Fülle, in dem Untergang den Aufgang, im Tod das Leben, im Verzicht das Finden herauszukosten. Wer es lernt, macht die Erfahrung des Geistes, des reinen Geistes, und in dieser Erfahrung die Erfahrung des Heiligen Geistes der Gnade. Denn zu dieser Befreiung des Geistes kommt es im Ganzen und auf die Dauer nur durch die Gnade Christi im Glauben. Wo ER diesen Geist befreit, befreit er ihn aber durch die übernatürliche Gnade in das Leben Gottes selbst hinein." (XIII, 246 f; vgl. III, 109; TM 5, 31)" (35)
Rudolf Hubert
Fußnoten:
1 Roman A. Siebenrock in "Karl Rahner 1904-1984. Was hat er uns gegeben? - Was haben wir genommen?", Berlin 2009, S. 83
2 Eugen Drewermann "Kleriker", Olten 1989, S. 765, Anmerkung 6
3 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.282
4 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.282
5 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.282
6 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.283
7 Karl Rahner "Schriften zur Theologie", XV, Zürich-Köln-Einsiedeln 1983, S. 270 ff; SW 29
8 DDR-Schlager von Ute Freudenberg
9 Ein Exkurs über das zugrundeliegende Menschenbild und dessen Weltsicht wäre hier lohnend, denn Menschen mit einer Behinderung, Menschen, die nicht dem Idealbild der Werbung und des Mainstream entsprechen und auf Hilfe angewiesen sind, werden in dieser Weltsicht kaum ihren Platz finden können.
10 Karl Rahner "Schriften zur Theologie", XV, Zürich-Köln-Einsiedeln 1983, S. 277 f
11 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.127
12 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S. 56.
13 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.70
14 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S. 54 f
15 SW 7, S. 340 f
16 Karl Rahner Sämtliche Werke 17/ 2, Freiburg-Basel-Wien 2002, S. 1072 f
17 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.284
18 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S. 211
19 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.297
20 Eugen Drewermann "Kleriker", Olten 1989, S. 765, Anmerkung 6
21 SW7, S. 52
22 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.282
23 SW7, S. 42
24 SW 7, S. 43
25 SW 7, S. 43
26 SW 22/1b, S. 678; auch Karl Lehmann in "Rechenschaft des Glaubens" - Karl Rahner - Lesebuch, Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 26*
27 SW7, S. 43
28 SW7, S. 43
29 SW 7, S. 43f
30 Karl Rahner - Lesebuch "Rechenschaft des Glaubens", Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 31 - aus Karl Rahner "Was ist der Mensch?" SW 22/2, S.39-47 (Schluss)
31 SW 7, S. 48
32 Buchtitel von Johann Baptist Metz
33 Ralf Miggelbrink "Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug", Altenberge 1989, S.38
34 Eugen Drewermann "Richtet nicht!", III, Ostfildern 2023, S. 485 - "…jetzt steht in der Tat, wie es offenbar soll, der Rachen der Hölle bereit, sich zu öffnen, um die Verdammten auf ewig in sich aufzunehmen. Das geschieht unausweichlich durch den abstrakten Idealismus RAHNERS im Umgang mit seinem Begriff der transzendentalen Freiheit."
35 Nikolaus Schwerdtfeger "Gnade und Welt", Freiburg-Basel-Wien" 1982, S. 428